CH.FILM

Liebe deinen Vater Kanada, Frankreich, Schweiz, Grossbritannien 2002 – 102min.

Filmkritik

Ein Betonkopf wird gesprengt

Filmkritik: Eduard Ulrich

Fast jeder Schriftsteller würde wohl in Jubel ausbrechen, wenn er erfährt, dass ihm der Nobelpreis zugesprochen wurde. Nicht so Léo Shepherd. Er karrt erst einmal in Ruhe den Mist seiner Kühe weg, und auch später bleibt seine Freude gedämpft. Dass das nicht nur einen tragischen Grund hat, wird im Verlauf dieses Roadmovies, dessen Weg auch durch die Schweiz führt, dramatisch aufgedeckt.

Ein Schriftsteller hat's nicht leicht: Seine Künstlerexistenz verhindert es, Privatleben und Beruf zu trennen. Besonders schwer hat es ein Schriftsteller mit kleinen Kindern. Oder mit erwachsenen Kindern, die seine Erziehung erlitten, davon einen Schaden haben und ihn nicht in Ruhe lassen können. Schwierig ist für den Schriftsteller auch, keinen Erfolg zu haben. Ebenso schwierig kann es aber sein, einen grossen Erfolg erzielt zu haben und danach dem Druck der Erwartungen nicht standhalten zu können.

Léo Shepherd (Gérard Depardieu) hat's also mehr als doppelt schwierig. Dem Druck der Öffentlichkeit hat er sich nach Südfrankreich auf einen Bauernhof entzogen, doch seine Tochter Virginia (Sylvie Testud) wacht eifersüchtig über sein Leben und Werk, statt selber zu leben. Der Sohn Paul (Guillaume Depardieu) wurde verstossen, vordergründig wegen seiner Drogensucht. Von der Mutter erfährt man nichts, ausser in Rückblenden. Jetzt existiert sie nicht mehr, aber auch hier können wir einen dunklen Fleck vermuten, denn Léo ist kein einfacher Mensch.

Er leidet darunter, dass er als Vater versagt hat, und mit seinem neusten Buch kommt er nicht voran. Da erhält er den Nobelpreis und beschliesst, mit seinem Motorrad nach Stockholm zu fahren. Dies ermöglicht Paul, sich seinem normalerweise abgeschirmten Vater zu nähern und ihn zu zwingen, sich seine Beziehungsnot anzuhören. Es kommt zum offenen Schlagabtausch (leider, denn diese Szenen sind nicht besonders überzeugend). Sobald auch noch Virginia hinzustösst, die ebenfalls unbeglichene Rechnungen mitbringt, wird die Familienbeziehung radikal neu definiert. Als das Roadmovie in Schweden ankommt (ein wesentlicher Teil spielt in der Schweiz), haben alle drei endlich einen wichtigen Schritt ihrer persönlichen Entwicklung vollzogen.

Trotz guter Besetzung (Depardieu als Motorradfan ist eine Wucht), sorgfältiger Inszenierung und witziger, schlüssiger Einfälle war ich nicht ganz zufrieden. Jacob Berger (Drehbuch und Regie) gelingt es vielleicht nicht ganz, die Motive seiner Figuren für ihr teilweise extremes Handeln zu vermitteln. In einer Zeit des psychoanalytischen Allgemeinwissens gäbe es differenziertere Mittel zum Umgang mit und Behandeln von familiären Konflikten.

10.11.2020

3.5

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