Das weisse Rauschen Deutschland 2001 – 109min.

Filmkritik

Das weisse Rauschen

Filmkritik: Eduard Ulrich

In der Physik bezeichnet der Begriff "weisses Rauschen" ein gleichmässiges Gemisch verschiedenster Frequenzen - etwa so tönt der Fernseher nach Sendeschluss. Es gibt Menschen, die aus so einem zufälligen Geräuschteppich Stimmen heraushören, die ihnen Befehle erteilen, Geheimnisse verraten oder den Kontakt zu Verstorbenen herstellen. Lukas gehört zu ihnen. Er ist schizophren.

Sanft beginnt der erste Kinofilm des jungen Hans Weingartner. Wiese, Wolken und ein paar junge Menschen sind etwas verschwommen zu sehen, eine Stimme mit unnatürlicher Aussprache trägt einen aufgeblasenen Text vor. Doch bevor wir abheben oder einschlafen, ist der Spuk vorbei, und wir begleiten den 19-jährigen Lukas (Daniel Brühl aus "Good Bye, Lenin!") auf seiner Fahrt vom Land in die Stadt. Dort will er bei seiner Schwester Kati (ebenfalls überzeugend: Anabelle Lachatte) und ihrem Freund (Patrick Joswig) ein Zimmer beziehen und plant, ein Studium aufzunehmen.

Anfangs läuft alles ganz nach Plan, doch spätestens beim ersten Date beschleichen uns Zweifel, ob Lukas ganz richtig tickt: Weil er sich beim Blick ins häufig wechselnde Programm eines Studiokinos im Tag geirrt hat, steht er nun mit seiner potentiellen Flamme zu spät und für den falschen Film vor der Kinokasse. Aber Lukas begreift den Fehler nicht. Stattdessen besteht er darauf, den gewünschten Film jetzt zu sehen und redet sich so in Rage, dass die Kassiererin mit der Polizei droht und seine junge Begleiterin Reissaus nimmt. Der Hang des jungen Mannes zum Ausblenden unangenehmer Realität disponiert ihn wohl für den späteren Absturz in die Schizophrenie. Dazu könnten aber auch die offensichtliche Überforderung, sich in Großstadt und Uni selbst zurecht zu finden, und die Drogenexperimente beigetragen haben.

Die Szene an der Kinokasse ist aber nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich symptomatisch: Sie ist äusserst holprig geschnitten, was selbst bei einem Low-Budget-Film nicht nötig sein sollte. Das digital aufgenommene Bildmaterial ist grobkörnig und die unterlegte Musik etwas zu billig. So passt der Titel gleichermaßen auf den Inhalt des Streifens, den intellektuellen Gehalt und auf seine technische Qualität. Die niedrigen Kosten des digitalen Drehens haben den Regisseur leider auch nicht zur Konzentration gezwungen. Ein Abstecher in die Familiengeschichte beispielsweise wirkt überflüssig, passt schlecht in den lebensstilorientierten Film und macht die Geschichte leider auch nicht plausibler. Aber vielleicht soll die übertriebene Länge von knapp zwei Stunden dazu dienen, das scheinbar zeitlose Lebensgefühl dieser jungen Menschen zu vermitteln, die doch einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit im Drogenrausch verbringen.

Immerhin hatte das junge Team angeblich großen Spaß bei der Arbeit, was sich in engagierten Schauspielerleistungen zeigt. Und sich 2001 in der Verleihung des Max Ophüls Preises niedergeschlug.

25.03.2003

3

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Kommentare

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bullettooth

vor 15 Jahren

Dieser Film braucht keine Spezialeffekte, denn er lebt durch seine Schauspieler.

Ich war noch nie so froh darüber, die "Stille" zu hören.;)


jimmyjazz

vor 17 Jahren

Lange habe ich den Film "Das weisse Rauschen" in der Videothek stehen sehen, konnte mich aber erst vor kurzem dazu durchringen, ihn mir auch zu leihen, da deutsche Filme oft nicht mein Ding sind. Dieser Film hat mich jedoch vom Gegenteil überzeugt. Die Schauspielerischen Leistungen (besonders Daniel Brühl, der seit diesem Film und "Die Fetten Jahre Sind Vorbei" enorm in meiner Achtung vor seinem schauspielerischen Potential gestiegen ist) überzeugen auf ganzer Linie, dadurch entsteht eine sehr realistische Darstellung, fast schon eine Art Reality TV, allerdings auf höchstem Niveu. Die interessante Art des Schnittes trägt sicherlich zu dieser Atmosphäre bei. Letztendlich ist es allerdings die Thematik, welche mit so viel Einfühlsamkeit wieder gegeben wird, die diesen Film zu etwas ganz besonderem macht. Es gibt wohl kaum einen weiteren Film, der jemanden so weit in die Welt eines Schitzophrenen hinein blicken ließ, ein Film der es schafft Jemandem diese Krankheit (die sicherlich auch auf andere Art ablaufen kann) so nahe zu bringen und verständlich zu machen. Von der ersten bis zur letzten Sekunde nahm mich diese Geschichte in seinen Bann und schaffte es, mich anschließend sehr lange zum überlegen anzuregen. Der Regisseur hat hier meiner Meinung nach mit sehr kreativen Ideen (ganz besonders der Ton, unbedingt in Dolby ansehen!!!!) ein absolutes Meisterwerk kreiert und sicherlich für mich ohne Zweifel den besten deutschen Film überhaupt abgeliefert. Sollte sich wirklich jeder mal ansehen.Mehr anzeigen


rege1

vor 19 Jahren

Der Kommentar der Filmkritik beschränkt sich stark auf die äusseren Rahmenbedingungen des Filmes und wenig auf den Inhalt. Dazu ist zu sagen, dass der Film ohne Ausstattung, ohne künstliches Licht und nur an original Schauplätzen gedreht wurde, was dem Film eine gewisse Natürlichkeit verleiht und weniger ein Perfektionierter Film daraus wurde.
Zum Inhalt: Noch nie habe ich einen Film gesehen, der so echt an das Thema einer psychischen Erkrankung, der Schizophrenie heran führt. Hans Weingartner hat es in seinem ersten Film geschafft einen jungen Menschen darzustellen, dessen Überforderung mit der Umwelt und der Realität äusserst gut spübar ist und mit dem mensch Schritt für Schritt in seine psychotische Welt abgleitet. Daniel Brühl spielt diese Rolle einfach genial, echt und ohne künstlich und unnötig zu übertreiben.
Natürlich kann mensch ihn nicht bloss als Unterhaltung ansehen, sondern muss auch genau schauen, was mit dem Lukas passiert. Mensch muss sich ein Stück weit in die Sensibilität von Lukas hineinversetzen können.
Als im Fachbereich der Psychistrie arbeitende Person kann ich den Film als Aufklärung nur wärmstens empfehlen.
Äusserst bedauerlich, dass der Film trotz grossem Anklang in Deutschland in der Schweiz praktisch nicht gezeigt wurde. Er könnte auch hier Stigma und Vorurteile gegenüber psychisch Kranken helfen abzubauen.Mehr anzeigen


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