Paragraph 175 Deutschland, Turkmenistan, Grossbritannien, USA 2000 – 76min.

Filmkritik

Homosexuelle - die anderen Naziopfer

Filmkritik: Karin Gfrörer

Der Paragraph 175 erlaubte den Nazis, jeden zu verhaften, den sie einer nur homosexueller Neigung auch nur verdächtigten. Erst 1969 wurde der Artikel endgültig abgeschafft. Die Betroffenen mussten lange schweigen. Rob Epstein und Jeffrey Friedman, die für The Times of Harvey Milk einen Oscar gewannen, erteilen in ihrem Dokumentarfilm den letzten schwulen Überlebenden des Holocaust das Wort.

Ein Dokumentarfilm schliesst historische Lücken. Auch wenn die Nazi-Zeit bereits tausendfach historisch analysiert und untersucht wurde: über die homosexuellen Opfer hat man bisher den Mund gehalten. Zwischen 1933 und 1945 wurden 100'000 Männer wegen Verdachts auf Homosexualität verhaftet. 10'000 bis 15000 wurden in die Konzentrationslager deportiert. 4'000 überlebten bis Kriegsende.

In den goldenen 20er-Jahren waren die Homosexuellen zu ungewohnter Freiheit gelangt. Unzählige Clubs für Schwule und Lesben öffneten auch in deutschen Städten ihre Tore. Die Szene schöpfte Hoffnung und glaubte auch noch nach Hitlers Machtergreifung noch nicht an die drohende Katastrophe. Dass Hitler mit Röhm ein schwuler Berater zur Seite stand, förderte das falsche Sicherheitsgefühl. Es kam anders, als man glaubte.

Die mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmer Rob Epstein und Jeffrey Friedman fühlten sich berufen, die letzten lebenden Zeitzeugen dieser Ereignisse vor die Kamera zu holen. Mitproduzent und Berater war der deutscher Historiker Klaus Müller, der die Thematik seit zehn Jahren erforscht. Es war höchste Zeit, diesen Film zu machen: Die wenige, die die Greuel überlebt haben, sind alt. Fünf Opfer der Verfolgung sprechen vor der Kamera über ihre schwere Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre bitteren, manchmal von Ironie durchsetzten Schilderungen werden unterbrochen und ergänzt mit Bildern und alten Dokumenten aus der Nazi-Zeit. Oft fällt es den Erzählern sichtlich schwer, die Vergangenheit noch einmal aufzurollen. Die meisten der Interviewten verbrachten kürzere oder längere Zeit im KZ. Die Zuschauer werden weitgehend von allzu fürchterlichen Details verschont. Ob die Betroffenen nicht darüber zu sprechen vermochten oder ob die Filmemacher ganz bewusst auf solche Elemente der Sensation verzichtet haben, ist nicht ersichtlich. Aber auch ohne die "Effekte" des Grauens macht der Film betroffen und vermittelt zumindest eine elementare Botschaft: Auch die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus verdienen es, von der Nachwelt nicht vergessen zu werden.

01.06.2021

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