CH.FILM

Eine pornografische Beziehung Belgien, Frankreich, Luxemburg, Schweiz 1999 – 80min.

Filmkritik

Vom Paar, das keines sein wollte

Filmkritik: Gerhard Schaufelberger

Sie (die bezaubernde Nathalie Baye) und Er, (voll im Saft: Sergi Lopez), zwei namenlose Vertreter ihres Geschlechts, haben sich verabredet. Sie kennen sich nicht. Sie hat ein Hotelzimmer reserviert. Dort tun sie "Es". "Was", das kaschiert Frédéric Fonteneye (Max et Bobo) hinter der gespielten Würde der als "echt" gesetzten Figuren. Diese tun "Es" erneut, dann nochmals und dann zweimal am gleichen Tag - et quoi alors?

Ja! Sie tun's nebenbei ganz gewöhnlich, wie wir Säugetiere es in der Biologiestunde gelernt haben, und in dieser Gewöhnlichkeit fallen sie jäh zurück in überkommene Muster. Als hätten wir nicht schon gewusst, dass Sex unterm Leintuch auf die Dauer keinen Spass macht, - selbst dann, wenn eben die "Sie" dominiert.

Aus Pseudo-Interviews geben Sie und Er getrennt ihre Geschichten zum Besten. Ihre Berichte streifen Es, ohne sich die geringste Blösse zu geben. "Es" darf ausserhalb ihrer Gedanken keine Stätte mehr haben. Tief menschlich wirkt die offensichtliche Verlogenheit der beiden zum Detail. Sie oder Er (oder etwa auch beide) scheinen meist zu schummeln. Was sie aussagen, bestätigt uns weder der allwissende Bericht eines Kommentators noch eine innere Stimme. Wem trauen wir nun? Und ist es überhaupt wichtig, jemandem vertrauen zu können?

Nathalie Baye wurde für ihre Verkörperung der "Sie" 1999 in Venedig als beste Schauspielerin gefeiert. Ihr Spiel lässt denn auch die furchtbare Einsamkeit in der Strenge gegen sich selbst beklemmend echt hervorschimmern; weint sie, so weint sie allein zu Ende, das leidende wie das ekstatische Gesicht werden vor dem Mann verborgen - "Du sollst meine Grimassen nicht sehn". Scham und Gewissen zügeln bis ins Letzte hinab ihre Lust. Und dieses Letzte ist die gemeinhin bekannte "Liebe", vor der Er sich ebenso fürchtet wie Sie an ihr zweifelt.

Kraftvoll bubenhaft sitzt Sergi Lopez (La Nouvelle Ève) als Er am Bistrotischchen beim Cognac, schliesst seinen blank polierten Mittelklasswagen auf. He-Man selbst in der Gerührtheit, sind seine Tränen schon versiegt, als Sie diese bemerkt hat. Er markiert den bodenständig gesitteten Mann, der nur gelernt hat, mit den Frauen "umzugehen", sich aber offenbar darum herum gedrückt hat, mit ihnen zu leben.

Endlich trampeln da die beiden Nebenfiguren - ein älteres Paar, das getrennt ist, und doch zur Verbundenheit gezwungen -, mit mythologischer Schwere und sagenhaft schroffer Klarheit in den dahin plätschernden Plot herein. "Jener Er" säuft und vögelt Frauen, die sich verkaufen, zeigt sich kaum noch zuhaus, während "jene Sie" ihn zwar verachtet, ihm aber bis in den Tod hörig bleibt.

Philippe Blasbands Haupttext begnügt sich durchaus damit, Wahrheit anzudeuten als "Stille zwischen den Worten" (so Fonteyne), und die Kamera (Virginie Saint-Martin) erfasst elegant als vielsagende Randnotizen das Lächeln und Gebärdenspiel der braven Leute, die man Ungehöriges gefragt hat. Diese Augenblicke des verschmitzten Zurückweichens in eine strenge, biedere Würde ist das einzige, was pornographisch genannt werden kann an "Une liaison pornographique". Wer darauf aus ist, die Sinne zu reizen, ist freilich im falschen Film. Gut unterhalten wird sich aber, wer es vorzieht, zu schweigen, wenn es der Fantasie an die Wäsche geht.

07.03.2022

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