Bringing Out the Dead USA 1999 – 121min.

Filmkritik

Risiken und Nebenwirkungen unvermeidbar

Serge Zehnder
Filmkritik: Serge Zehnder

Er benötigt dringend Schlaf, ein bisschen Ferien und die Chance, vom psychisch zerstörenden High herunterzukommen, das ihm die Strassen New Yorks bereiten. Er ist Rettungssanitäter und sammelt Nacht für Nacht Menschen in medizinischer Not ein: Nicolas Cage in einer seiner besten Rollen in Martin Scorseses neuster Grossstadt-Rockoper.

Die Strassen sind nass, das Blut noch nicht trocken und Frank Pierce (Nicolas Cage) kann einmal mehr nichts weiteres tun, als die Todesursache zu bestätigen: Schusswunden. Danach düsen er und sein Partner - je nach Schichtplan ist es John Goodman mit phlegmatischem Nihilismus oder Tom Sizemore in tosender Selbstjustiz-Wut - zurück in die Notaufnahme, wo Leichenwagen und Notruf auf einen weiteren Patienten warten.

Basierend auf dem Roman des ehemaligen Notfallarztes Joe Connelly, dessen Erlebnisse auf den Beginn der 90er-Jahre zurückgehen, als New York noch nicht von der eisernen Hand des Bürgermeisters Rudolph Giuliani regiert wurde, spaziert Martin Scorsese erneut die dunklen Mean Streets hinunter, und beweist, weshalb er zu den Besten von Amerikas Regie-Elite gehört. Das Territorium ist zwar nicht neu, doch wurde die Atmosphäre von Scorsese und seinen Mitarbeitern - darunter solch alte Meister/innen wie Drehbuchautor Paul Schrader und Cutterin Thelma Schoonmaker - konsequent auf die 90er- Jahre getrimmt. Mit sardonischem Humor und ins Absurde neigenden Szenen tippt der Film stellenweise die Zone der Satire an, während sich durch das magische Auge von Kameramann Robert Richardson ein Lichtersturm entfacht. Das kalte Strassenlicht der Siebziger weicht dem Neon der frühen Neunziger, nur das Blut hat noch immer die selbe Konsistenz. War Taxi Driver Travis Bickle (Robert DeNiro) ein Mann, dessen gescheiterte Sozialisierung ihn in den Wahnsinn trieben, sehnt sich Frank nach Einsamkeit, Ruhe und einem inneren Gefühl von Sicherheit. Geplagt von Visionen eines jungen Mädchens, das sechs Monate zuvor in seiner Obhut gestorben ist, kommt Frank dem psychischen Supergau immer näher.

Ein Schimmer Hoffnung taucht auf, als Frank die Tochter eines von ihm ins Leben zurückgeholten Patienten kennenlernt. Mary (Patricia Arquette) ist wie er ein Kind der Strasse, Tochter der Urbanität, die jeden verschlingt, der sich ihr nicht unterordnet. Scorsese gestaltet diese Begegnung nicht so sehr als Beginn einer Liebesgeschichte sondern als Treffen zweier Seelen mit unvernarbten Wunden, die einander Pflaster werden möchten. Denn der Beton hat bestimmte Gefühlspflänzchen soweit verkümmern lassen, dass es mehr als nur 120 Filmminuten benötigt, bis zwischen dem Paar die Liebe blühen könnte.

Aber sind es nicht gerade jene Bestandesaufnahmen, die unvollendeten Geschichten, die Meister "Marty" so beherrscht wie er sie liebt? Schlaglichter im Lebensfluss einiger Figuren, die der Zuschauer ein Stück begleitet, um sie danach wieder zu verlassen, flüchtige Bekanntschaften, die man wieder besuchen kann, wenn einem danach ist. Ergänzt man diese Fragmente mit dem unnachahmlichen cinematischen Talent Scorseses, einem Ensemble von hervorragenden Schauspielern und der Tatsache, dass der Regisseur nach Las Vegas (Casino) und Tibet (Kundun) wieder ein klares Heimspiel geniesst, ist "Bringing Out the Dead" nur ein paar Strassenblocks vom Meisterwerk entfernt. Ein halluzinatorisches Gemälde, das mit satten Farben der Renaissance-Malerei huldigt und dem Grauen ein Stück Schönheit abringt.

23.03.2021

4

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Kommentare

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movie world filip

vor 12 Jahren

starke überraschende scorsese, das ist was er macht, gute filmen - nicht sein starkte aber wenn diese seine schachere seite ist, ist es noch immer verdammt gut


movie world filip

vor 12 Jahren

starke überraschende scorsese, das ist was er macht, gute filmen - nicht sein starkte aber wenn diese seine schachere seite ist, ist es noch immer verdammt gut


movie world filip

vor 12 Jahren

starke überraschende scorsese, das ist was er macht, gute filmen - nicht sein starkte aber wenn diese seine schachere seite ist, ist es noch immer verdammt gut


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