Interview

Stefan Haupt: «Für einmal ausführender Teil»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Letzte Woche war er in Chicago unterwegs, dieser Tage ist er mit seinem «Kreis» in Deutschland «on the road»: Regisseur Stefan Haupt über stehende Ovationen, Bettler auf den Strassen und Sean Penn.

Stefan Haupt: «Für einmal ausführender Teil»

Wo erreichen wir Sie, Herr Haupt?

Sie erreichen mich in Hamburg, wo gestern abend unser Film auf einem hiesigen Filmfestival als Abschluss-Film gezeigt wurde, vor vollem Haus und mit einer Standing Ovation. Heute geht es weiter zu einer Vorführung in Hannover und dann noch nach Berlin, wo ich anschliessend an eine Vorführung im altehrwürdigen Kino International dem Publikum Red und Antwort stehen werde. Das alles gehört zur Promo-Tour für den «Kreis» in Deutschland, der hier am kommenden Donnerstag in den Kinos starten wird.

Letzte Woche waren Sie in den USA, wo Sie ein erstes Mal für Ihre Dokufiction «Der Kreis» weibelten, die für die Schweiz den Auslands-Oscar gewinnen soll. Warum fiel der Startschuss für Ihre «Reise der Hoffnung» ausgerechnet am Filmfestival Chicago?

Der eigentliche Startschuss fällt erst im November, wenn ich zusammen mit Röbi Rapp und Ernst Ostertag eine eigentliche Oscar-Campaign-Reise machen werde mit einem Dutzend Vorführungen in New York, Los Angeles, Palm Springs und wohl auch San Francisco.

Wieviele Hände haben Sie in Chicago geschüttelt?

Ich habe sie beim besten Willen nicht gezählt – aber es waren viele, sehr viele sogar, speziell nach den beiden ausverkauften Festival-Vorstellungen.

Und wie oft den Kopf, weil Sie dachten: Was geht denn hier ab?

Etliche Male! Was mich einfach jedesmal von Neuem überrascht und freut: zu sehen, wie universell die Geschichte ist, wie gut auch Menschen in anderen Ländern, auch in Übersee, daran anknüpfen können und davon berührt sind, und zwar genauso homo- wie heterosexuelle Menschen; das wird mir immer wieder von den verschiedensten Seiten bestätigt.

Die goldigste Begegnung in Chicago!

Ich war 1979 Austauschstudent in den USA, in einem kleinen Kaff in Pennsylvania. Nur mit ganz wenigen Schulkollegen aus jener Zeit habe ich den Kontakt aufrecht erhalten können. Und einer davon war just am letzten Wochenende ebenfalls in Chicago, weil er dort den Chicago Marathon lief. Er kam sich dann den Film anschauen und war begeistert. Das war ein absolutes Highlight: ihn nach all den vielen Jahren wieder zu sehen.

Und die überflüssigste?

Überflüssig ist wohl das falsche Wort, aber mich hat bestürzt, wie viele Bettler ich auf den Strassen gesehen habe: Kriegsveteranen, homeless people, Mütter mit Kindern – in einem Ausmass, das in meiner Wahrnehmung zugenommen hat. Wenn ich dann bei uns in der Schweiz aus gewissen Kreisen höre, mit welcher Verachtung über unseren «Sozialstaat» hergezogen wird, ärgert mich das doppelt – ich bin stolz, dass wir den Menschen, die bei uns durch die sozialen Netze fallen, ein ganz klein wenig besser acht geben.

Die eigentlichen Strippenzieher im Oscar-Poker sind die «Publicists», die man für teures Geld verpflichtet: Welche Strategie haben Sie für den «Kreis» ausgeheckt?

Diese Strategie wird momentan vor allem vom Publicisten selber, von unserem Produzenten Ivan Madeo von Contrast Film, und von Maria Lynn, der amerikanischen Verleiherin von Wolfe Video ausgeheckt; ich führe da nicht selber Regie, sondern bin für einmal ausführender Teil.

Wie eng arbeiten Sie mit der LGBT zusammen, der Organisation, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt?

Natürlich sind wir mit den verschiedensten LGBT-Organisationen in Kontakt und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Aber es ist uns gleichzeitig wichtig, immer wieder zu betonen, dass dieser Film weit über die «gay community» hinaus sein Publikum sucht und findet – der Umgang mit Minderheiten, die Akzeptanz des Anderen ist eine Thematik, die uns ausnahmslos alle betrifft. So werden wir den Film auch in Los Angeles im «Museum of Tolerance» zeigen, eine Vorführung, auf die ich mich ganz speziell freue. Und natürlich sind die Schweizer Botschaften und Konsulate ganz wichtige Partner für unsere Kampagne – diese Zusammenarbeit funktioniert bestens.

Sie hören es nicht gern, wenn Der Kreis in den Medien zum «Schwulendrama» verflacht wird – mit Blick auf die Positionierung des Films im Oscar-Rennen wird das Label «gay» aber wichtig sein, weil die Academy gerne politisch relevante Filme auszeichnet. Ein Verbiegung, die Sie hinbekommen?

Für mich ist das keine Verbiegung: Die Labels «gay» oder «minority rights» sind natürlich richtig und wichtig – aber vielleicht noch umfassender ist das Label: «a true love story» – weil es genauso stimmt und bei uns allen die Herzen öffnet.

Ein bisschen froh darüber, dass der deutsche Oscar-Kandidat – Die geliebten Schwestern von Dominik Graf – des Dichterfürsten Friedrich Schillers dialektisches Liebesleben zum Thema hat und nicht den zweiten Weltkrieg, mit dem man gerne Oscars gewinnt?

Es sind 83 Filme aus 83 Ländern im Rennen – sicher alles spannende, packende, berührende Filme. Ich sehe es nicht so, dass wir primär gegen andere Filme als unsere Gegner ankämpfen müssen – wir unternehmen einfach alles, dass unser Film gesehen wird, eine grosse Resonanz findet und allgemein zum Gespräch unter den Academy Members wird.

Noch ein Seitenblick: Wen stufen Sie als Ihre härtesten Widersacher ein?

Ich kenne (noch) zu wenige der anderen Filme.

Hinter jedem Oscar-Gewinner stehen nicht zuletzt die «Ambassadors», prominente Fürsprecher, die in sich in Hollywood für Ihren Film stark machen. Steht Sean «You commie, homo-loving sons of guns» Penn auf Ihrer Wunschliste, der für seinen Harvey Milk – den ersten offen schwulen US-Politiker – 2009 den Oscar gewann?

Oh ja, Sean Penn würde ich jederzeit als Ambassador für unseren Film mit offenen Armen empfangen. Seine Darbietungen in Milk oder Dead Man Walking fand ich umwerfend.

Sie fliegen im November wieder in die USA und werden in Los Angeles sein, wenn die erste Gruppe der Academy-Members sich die Oscar-Filme anschaut. Man darf davon ausgehen, dass Sie mit ein paar Tafeln Schweizer Schokolade im Gepäck anreisen?

Vielleicht werden es eher einige Truffes und Pralinen sein...

20. Oktober 2014

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