Interview22. November 2019

Samir im Interview: "«Baghdad in My Shadow» ist eine Brücke zwischen Orient und Okzident"

Samir im Interview: "«Baghdad in My Shadow» ist eine Brücke zwischen Orient und Okzident"
© Dschoint Ventschr

Der schweizerisch-irakische Filmemacher Samir spricht im Interview über seinen Bezug zum Irak, anstrengende Dreharbeiten und seinen neuesten Film «Baghdad in My Shadow».

Samir wurde 1955 in Bagdad geboren und ist Sohn einer Schweizerin und eines Irakers. 1961 zogen seine Eltern in die Schweiz, wo er an der Schule für Gestaltung eine Ausbildung als Typograf absolvierte und sich danach als Kameramann weiterbildete. Sein Dokumentarfilm «Iraqi Odyssee» war 2015 Schweizer Oscarkandidat für den besten fremdsprachigen Film.

Interview von Laura Hohler

Samir, du hast als Kind in Bagdad gelebt. Wie ist deine Beziehung zum Irak heute?

Samir: Durch die Recherche zu meinem letzten Dokfilm «Iraqi Odyssey» und danach zu «Baghdad in My Shadow» musste ich seit 2010 mehrmals in den Irak. Seitdem habe ich ein grosses Netzwerk von irakischen Kulturschaffenden und Politikern. Momentan erhalte ich fast alle fünf Minuten eine Meldung, was gerade in Bagdad passiert.

Zuvor waren meine Beziehungen jedoch hauptsächlich familiär geprägt. Ich habe noch fünf Cousins, eine Tante und einige Grossonkel und Grosstanten dort. Dank Social Media weiss ich heutzutage mehr über sie, als damals, als wir alle noch im selben Quartier wohnten.

Seit den Recherchen zu seinem Film «Iraqi Odyssey» ist Samir (links) wieder eng mit dem Irak verbunden.
Seit den Recherchen zu seinem Film «Iraqi Odyssey» ist Samir (links) wieder eng mit dem Irak verbunden. © Dschoint Ventschr

Was waren deine Kriterien für die Suche nach den passenden Darstellern für «Baghdad in My Shadow»?

Samir: Es gab zwei Probleme. Einerseits konnte mir Haytham Abdulrazaq, der Taufiq spielt, viele Türen öffnen, da er auch Professor an der Schauspielakademie ist. Als wir aber die Rolle des schwulen jungen Muhanad casteten, liefen uns alle Bewerber davon. Für diese Rolle haben wir dann einen irakischen Schauspieler in England gefunden, das war ein grosser Zufall.

Es war mir wichtig, dass der Fokus auf den Irakern und ihren Geschichten liegt.– Samir

Ein anderes Problem war die Rolle der Amal. Auch dort habe ich zuerst im Irak gesucht, doch die Mehrzahl der Schauspielerinnen war stark operiert, und das ist für mich ein absolutes No-Go. Ich liebe Gesichter, sie sind für mich Landschaften, die nicht mit Botox verbaut sein sollten. Das sieht man auch an den vielen Close-Ups im Film.

Mit Zahraa Ghandour habe ich dank meiner Drehbuchautorin aber schliesslich doch noch die perfekte Besetzung gefunden. Es war für mich sehr wichtig, dass «Baghdad in My Shadow» kein eurozentristischer Film wird, sondern dass der Fokus auf den Irakern und ihren Geschichten liegt.

Zahraa Ghandour spielt in «Baghdad in My Shadow» eine Exilirakerin, die vor ihrem Ehemann nach London geflohen ist.
Zahraa Ghandour spielt in «Baghdad in My Shadow» eine Exilirakerin, die vor ihrem Ehemann nach London geflohen ist. © Dschoint Ventschr

Wie lange haben du und Furat al Jamil für die Entwicklung des Drehbuchs gebraucht?

Samir: 2009 habe ich das Konzept und eine Storyline entworfen. Furat, mit der ich das Drehbuch entwickelte, kannte ich schon lange. Als sie in Berlin lebte, erzählte ich ihr vom Projekt, und dann haben wir drei Jahre lang zusammen geschrieben.

Als sie beschloss, nach Bagdad zurückzugehen, wurde es etwas komplizierter, und ich musste die letzte Version alleine abschliessen. In der Zwischenzeit habe ich aber 2014 noch den Dokfilm «Iraqi Odyssee» abgedreht, der ein grosser Erfolg wurde. Darum fiel es mir leichter, «Baghdad in My Shadow» zu finanzieren.

«Baghdad in My Shadow» war der anstrengendste Film meines Lebens.– Samir

Die Schauspielerin Zahraa Ghandour wäre fast abgesprungen, da ihre Rolle der Amal ihr im Irak Probleme bereiten könnte. Wie seid ihr damit umgegangen?

Samir: Das hatte damit zu tun, weil der Film in gewisser Weise ihre Geschichte erzählt. Da sie sich als Feministin und Aktivistin versteht, war ihr sofort klar, was die Bedeutung des Films war. Doch als ihre Mutter heimlich das Drehbuch las und bemerkte, dass ihre Tochter in einer Liebesszene mitspielen sollte, war sie ausser sich und drohte, sie zu verstossen. Daraufhin war Zahraa erst einmal eingeknickt. Doch dann hat sie sich glücklicherweise doch dazu entschlossen, Teil des Films zu sein.

Haytham Abdulrazaq war als Professor an der Schauspielakademie ein Türöffner für die Suche nach weiteren Darstellern.
Haytham Abdulrazaq war als Professor an der Schauspielakademie ein Türöffner für die Suche nach weiteren Darstellern. © Dschoint Ventschr

Was waren weitere Herausforderungen bei den Dreharbeiten?

Samir: Wir haben in der Schweiz, in Deutschland, in England und im Irak gedreht. Jedes Mal musste ich mein Schweizer Team mit anderen Leuten vor Ort mischen. Das war schon sehr anstrengend. Ich würde sogar sagen, dass «Baghdad in My Shadow» der anstrengendste Film meines Lebens war. Ausserdem hatten wir in England ohnegleichen mit Bürokratie zu kämpfen, und in Bagdad war es manchmal Chaos pur. Man kann sich dort nicht auf strukturierte Abläufe verlassen. Nach den Dreharbeiten kam ich nudelfertig nach Hause.

Themen wie die Unterdrückung der Frau, Religiosität und Homosexualität werden im Irak mit grosser Scheinheiligkeit behandelt.– Samir

Hast du positives Feedback von Stimmen aus dem Irak erhalten?

Samir: Vor zwei Wochen war ich in Beirut, wo eine grosse Ausstellung über irakische Künstler stattfand. In diesem Rahmen gab es eine Spezialvorführung von meinem Film. Das Publikum war begeistert. Das war total überwältigend und hat mich gefreut.

Warum fiel die Wahl auf die irakische Community in London?

Samir: Weil London mit ca. 700'000 Exilirakern eine der grössten Communities in ganz Europa hat.

Ein zentrales Thema im Film ist die Homosexualität, die im Irak noch immer ein grosses Tabu ist.
Ein zentrales Thema im Film ist die Homosexualität, die im Irak noch immer ein grosses Tabu ist. © Dschoint Ventrsch

Gibt es autobiografische Bezüge zwischen dir und deinen Protagonisten im Film?

Samir: Der Film ist zwar Fiktion, beruht aber auf wahren Geschichten, mit denen ich aufgewachsen war. Geschichten, die das Leben geschrieben hat.

Welche Botschaft gibt «Baghdad in My Shadow» dem Publikum mit auf den Weg?

Samir: Der Film ist eigentlich eine Brücke zwischen dem Orient und dem Okzident. Er behandelt drei Themen, die eng zusammenhängen: die Unterdrückung der Frau, Religiosität und Homosexualität. All diese Dinge werden in der arabischen Welt mit grosser Scheinheiligkeit behandelt. Da ist Selbstkritik gefragt.

Im Westen möchte ich den Vorurteilen etwas entgegenhalten und wegkommen vom Bild der angeblich rückständigen «Parallelgesellschaft». Ich wollte eigentlich zeigen, dass diese Menschen genau die gleichen Probleme haben, aber zusätzlich noch unter dem Druck von Rassismus und religiösem Fanatismus stehen.

Darf man das Ende des Films positiv deuten?

Samir: Unbedingt (lacht).

«Baghdad in My Shadow» feierte seine Premiere am Locarno Film Festival und ist ab dem 28. November in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

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