Critique9. Oktober 2020

Netflix-Kritik «Spuk in Bly Manor»: Wenig Horror, viel Schmerz

Netflix-Kritik «Spuk in Bly Manor»: Wenig Horror, viel Schmerz
© Netflix

Nach «Spuk in Hill House», einer losen Adaption von Shirley Jacksons gleichnamigem Gruselroman, legt Horrorexperte Mike Flanagan («Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen») mit «Spuk in Bly Manor» nun eine freie Neuinterpretation von Henry James‘ berühmter Schauernovelle «Die Drehung der Schraube» als Serie vor.

Serienkritik von Christopher Diekhaus

Erst Anfang 2020 erschien in den US-Kinos mit «The Turning» von Floria Sigismondi eine trotz gelungener atmosphärischer Akzente weitgehend verunglückte Verfilmung der berühmten Henry-James-Erzählung von 1898. In seiner aktuellen Netflix-Serie verneigt sich Mike Flanagan sehr deutlich vor Jack Claytons «The Innocents», der bislang besten Leinwandadaption des literarischen Stoffes, die 1961 das Licht der Welt erblickte. Keineswegs unbeabsichtigt trägt Dani (Victoria Pedretti), die Protagonistin von «Spuk in Bly Manor», ebenfalls den Nachnamen Clayton.

Die Handlung springt ständig zwischen der Gegenwart und der oft schmerzhaften Vergangenheit hin und her.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

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Die junge Lehrerin, die ihre Heimat Amerika vorübergehend hinter sich gelassen hat, um sich in London durchzuschlagen, stellt sich im Jahr 1987 bei Anwalt Henry Wingrave (Henry Thomas) vor, der eine Au-pair-Dame für seine Nichte Flora (Amelie Bea Smith) und seinen Neffen Miles (Benjamin Evan Ainsworth) sucht. Nach dem Tod ihrer Eltern und dem Selbstmord ihrer früheren Erzieherin Miss Jessel (Tahirah Sharif) brauchen die beiden Kinder, die zusammen mit Haushälterin Mrs. Grose (T’Nia Miller) auf dem Familienlandsitz Bly Manor leben, dringend eine neue Betreuerin.

Hier und da gibt es klassische Gruselmomente.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Dani glaubt zunächst, den Job abschreiben zu müssen, darf nach einem weiteren Gespräch mit Wingrave aber doch ihre karge Herberge in der englischen Metropole gegen das idyllisch gelegene Herrenhaus eintauschen. Flora und Miles empfangen sie mit offenen Armen, verhalten sich manchmal allerdings höchst seltsam. Zudem sieht das neue Kindermädchen Personen, die angeblich nicht da sind.

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Flanagan, der bislang nicht zu den Vertretern eines ständig lärmenden Schauerkinos gehörte, verfährt auch in seiner jüngsten Serienschöpfung nach dem Prinzip „In der Ruhe liegt die Kraft“. Die ersten drei Folgen, die für diese Kritik gesichtet wurden, bieten Horror in kleinen Dosen. Hier und da gibt es klassische Gruselmomente. Wirklich unheimlich oder nervenaufreibend wird es aber nicht. Auffallend ist auch, dass die erfreulich divers gecasteten Angestellten – neben Mrs. Grose arbeiten der Koch Owen (Rahul Kohli) und die Gärtnerin Jamie (Amelia Eve) auf Bly Manor – Dani wohlwollend begegnen. Derartige Nebenfiguren treten im Genre eigentlich zumeist betont schroff und bedrohlich auf.

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Ähnlich wie bei «Spuk in Hill House» springt die Handlung, die ausser «Die Drehung der Schraube» auch Elemente aus anderen Henry-James-Erzählungen verwendet, ständig zwischen der Gegenwart und der oft schmerzhaften Vergangenheit hin und her. Beklemmung und Grauen entstehen vor allem aus den zum Teil traumatischen Erlebnissen einzelner Charaktere, die das Drehbuch in Rückblenden enthüllt. Dass auch Dani Clayton mit erschütternden Erfahrungen zu kämpfen hat, wird gleich zum Auftakt ein wenig plakativ im Dialog hervorgehoben. Was hinter der Vision eines schemenhaften Mannes mit leuchtenden Kreisen statt Augen steckt, die die Lehrerin ständig verfolgt, bleibt fürs Erste rätselhaft.

Zum Spekulieren verleitet ferner das Auftauchen einer gelegentlich kommentierend in das Geschehen eingreifenden Erzählerin (Carla Gugino), die im Jahr 2007 an einem Beisammensein vor einer Hochzeitsfeier teilnimmt und dort Danis Geschichte – das, was wir als Serie sehen – ausbreitet. Wer ist die Frau? Und welche emotionale Bindung hat sie zu den geschilderten Ereignissen? Auch wenn die Spannungsnadel in den Episoden eins bis drei noch nicht richtig ausschlägt, sind die Zutaten interessant genug, um auf ein schmackhaftes Endergebnis hoffen zu können.

3.5 von 5 ★

«Spuk in Bly Manor» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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