Critique10. Januar 2019

Netflix-Kritik «Sex Education»: Tragikomisches Serienerlebnis über die Tücken der Sexualität

Netflix-Kritik «Sex Education»: Tragikomisches Serienerlebnis über die Tücken der Sexualität
© Netflix

Let’s talk about sex! In der von Laurie Nunn entwickelten Netflix-Serie dreht sich alles um die schönste Nebensache der Welt. Mittendrin ein verklemmter Teenager, der plötzlich zum Therapeuten seiner nicht minder verunsicherten Mitschüler avanciert.

Serien-Kritik von Christopher Diekhaus

Das Zusammenleben mit seiner Mutter Jean (Gillian Anderson) stellt den sensiblen Otis («Hugo Cabret»-Star Asa Butterfield) immer wieder vor Herausforderungen. Als Beziehungs- und Sexualtherapeutin versucht sie ständig, intime Gespräche anzustossen, und nimmt dabei nie ein Blatt vor den Mund. Auf der Suche nach dem Klo platzen Jeans wechselnde Lover permanent in Otis‘ Zimmer. Und trotz seines in Liebesdingen von Haus aus umfangreichen Theoriewissens fällt es dem Jugendlichen schwer, seine eigene Sexualität zu erkunden. Sich selbst zu befriedigen, ist ihm ein Graus.

Als er eines Tages Adam (Connor Swindells), dem Sohn des Schuldirektors, der unter Erektionsproblemen leidet, eher unbewusst mehr Selbstbewusstsein einimpft, schlägt ihm die kesse Maeve (ausdrucksstark: Emma Mackey) ein seltsam klingendes, aber verlockendes Angebot vor: Warum nicht einfach regelmässig Sexprobleme der Mitschüler lösen? Während sie sich um das Finanzielle kümmern will, soll der empathische Otis mit seinen fachlichen Kenntnissen glänzen. Der Start dieses ungewöhnlichen Businessmodells geht in die Hose. Doch schon bald finden die beiden „Kunden“, denen der junge „Therapeut“ tatsächlich helfen kann. Parallel beginnt Otis rasch, mehr für seine Geschäftspartnerin zu empfinden.

Obwohl bei «Sex Education» vorwiegend Teenager im Zentrum stehen, dürften auch ältere Zuschauer Gefallen an der Serie finden.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Geschäftspartnerin und Schwarm: Maeve (Emma Mackey).
Geschäftspartnerin und Schwarm: Maeve (Emma Mackey). © Netflix

Die Prämisse mag etwas konstruiert erscheinen, ermöglicht es Serienschöpferin Nunn allerdings, die ganze Bandbreite der jugendlichen Unsicherheiten abzubilden. Gerade in der Pubertät hat jeder mit Sorgen und Zweifeln zu kämpfen. Eine Erkenntnis, die «Sex Education» auf amüsante und leichtfüssige Weise illustriert. Keiner fällt als Meister der Verführung vom Himmel. Vielmehr muss man sich ausprobieren und Fehler zulassen. Denn nur durch das Sammeln von Erfahrungen können Blockaden und Ängste überwunden werden.

Dass unbeholfene Verrenkungen und peinliche Augenblicke zum Liebesspiel dazugehören, zeigt die britische Serie in ihren erfrischend ungekünstelten Sexszenen mehrfach und federt so übertriebene Erwartungshaltungen ab. Durchzogen ist die neue Netflix-Produktion von einem schwarzen Humor und einer derben, schlüpfrigen Sprache, wobei nicht jeder Gag ins Schwarze trifft. Hier und da wünscht man sich etwas weniger grobe Pinselstriche. Und manch derbe Einlage – etwa die Kotzorgie auf einer Party – hätte man sich gut und gerne schenken können.

Offenbart überraschende Seiten: Otis' schwuler Freund Eric (Ncuti Gatwa).
Offenbart überraschende Seiten: Otis' schwuler Freund Eric (Ncuti Gatwa). © Netflix

Die Serie balanciert oftmals überzeugend zwischen derber Komik, klugen Einsichten, ernsten und berührenden Momenten.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Mit jeder neuen Folge erhalten die Protagonisten jedoch neue, spannende Facetten, tun sich ungeahnte Entwicklungen auf, die den Betrachter in die Story-Welt hineinziehen. Schnell fühlt man sich dem von Asa Butterfield sympathisch gespielten Otis und seinen Bedenken verbunden und darf sich ausserdem über die komplexe Zeichnung der selbstbewussten Maeve freuen. Lobenswert ist sicher auch die Tatsache, dass einige anfangs klischeehaft wirkende Nebencharaktere – Otis‘ schwuler Freund Eric (Ncuti Gatwa), der als dumpfer Mobber eingeführte Adam und der athletische Schülersprecher Jackson (Kedar Williams-Stirling) – überraschende Seiten offenbaren.

Obwohl «Sex Education» den Fokus auf jugendliche Befindlichkeiten legt und vorwiegend Teenager im Zentrum stehen, dürften auch ältere Zuschauer Gefallen an der Serie finden. Otis‘ Mutter Jean, die von Gillian Anderson mit sichtbarer Spielfreude verkörpert wird, ist eine amüsante Erwachsenenfigur mit Hang zu leicht übergriffigem Verhalten, über die Nunn das Verhältnis von Eltern und Kindern reflektiert. Sollten auch die verbleibenden vier Episoden den Weg der ersten vier, für diese Kritik gesichteten Folgen beschreiten, kann man Netflix zu einem schwungvoll-unterhaltsamen Format gratulieren, das oftmals überzeugend zwischen derber Komik, klugen Einsichten, ernsten und berührenden Momenten balanciert.

4 von 5 ★

«Sex Education» ist ab dem 11. Januar auf Netflix verfügbar.

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