Critique24. Dezember 2020

Netflix-Kritik «Bridgerton»: Liebeswirren im London der Regency-Ära

Netflix-Kritik «Bridgerton»: Liebeswirren im London der Regency-Ära
© Netflix

Historienseifenoper in üppigen Bildern: Die auf der gleichnamigen Bestsellerreihe von US-Schriftstellerin Julia Quinn basierende Netflix-Serie «Bridgerton» entführt den Zuschauer in die Londoner High Society des Jahres 1813 und handelt von einer jungen Adeligen auf der Suche nach dem Mann fürs Leben.

Serienkritik von Christopher Diekhaus

Als Produzentin und Showrunnerin hat Shonda Rhimes auf dem Fernsehmarkt prägende Spuren hinterlassen. «Grey’s Anatomy», «Scandal» und «How to Get Away with Murder» gehören zu den von ihr federführend auf den Weg gebrachten Serien und erfreuen sich einer weltweiten Anhängerschaft. 2017 unterschrieb die einflussreiche TV-Macherin einen für mehrere Jahre geltenden Exklusivvertrag mit Netflix und sicherte damit zu, dass ihre nächsten Projekte als Originalstoffe auf der Streaming-Plattform erscheinen. Als erste Produktion dieses Deals geht nun die Romanverfilmung «Bridgerton» an den Start, die in acht rund einstündigen Folgen eine fiktive Londoner Elite zur Zeit der Regency-Ära beleuchtet.

Nicht nur mit ihrem divers aufgestellten Personenensemble hebt sich die Serie von vielen klassischen Kostümdramen ab. Auch durch ihre feministischen Gedanken will sie eigene Akzente setzen.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Eingeführt wird das Publikum in diese farbenfrohe Welt durch eine Erzählerin namens Lady Whistledown, deren Identität niemandem bekannt ist. Mit grosser Lust an der Provokation greift die anonyme Schreiberin Gerüchte und Informationen über die illustren Kreise auf und verbreitet sie in ihren viel gelesenen Klatschheftchen, die sogar bis ins Wohnzimmer von Königin Charlotte (Golda Rosheuvel) vordringen. Als Juwel der aktuellen Heiratssaison kristallisiert sich die bezaubernde Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor), die älteste Tochter der verwitweten Lady Violet Bridgerton (Ruth Gemmel), heraus. Mit den Hochzeitsplänen geht es zunächst allerdings nur schleppend voran.

Um den Fängen des aufdringlichen Verehrers Nigel Berbrooke (Jamie Beamish) zu entkommen, lässt sich Daphne, die aus Liebe heiraten möchte, auf den Vorschlag des arroganten, frisch nach London zurückgekehrten Herzogs Simon Bassett (Regé-Jean Page) ein, der sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt, eine Gattin zu suchen. Obwohl sich die beiden eigentlich nicht leiden können, wollen sie gegenseitiges Interesse vortäuschen – und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Daphne wird Berbrooke los, und Simon die unzähligen Mütter, die ihn umschwärmen und ihre Töchter anpreisen. Die sich vermeintlich anbahnende Beziehung zwischen der jungen Frau und dem unkonventionellen Bassett ist vor allem Anthony Bridgerton (Jonathan Bailey) ein Dorn im Auge, der nach dem Tod des Vaters als ältester Mann im Haus die Rolle des Familienoberhauptes übernommen hat und für seine Geschwister verantwortlich ist. Da er Simon aus gemeinsamen Jugendtagen kennt und um dessen Heiratsunlust weiss, will er Daphne vor einer Enttäuschung bewahren.

Prächtig ausgestattete Schauplätze, exquisite Kostüme und extravagante Frisuren sorgen für eine Opulenz, die manche Drehbuchschwäche in den Hintergrund treten lässt.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Man muss sicher kein grosser Kenner romantischer Geschichten sein, um zu erahnen, dass der Pakt zwischen Daphne und dem Herzog einige Wendungen erfährt. Die anfängliche Abneigung ist – so viel sei an dieser Stelle verraten – nicht in Stein gemeisselt. Hinter der Fassade flammen schon früh erste Anzeichen von Leidenschaft auf. Wie es sich für eine Seifenoper im historischen Gewand gehört, wird das Verhältnis zwischen Daphne und Simon aber immer wieder durch Verwicklungen und Enthüllungen torpediert. Eine gewichtige Rolle spielen dabei nicht selten die veröffentlichten Ergüsse Lady Whistledowns, deren Identität zu den spannendsten Geheimnissen der Serie zählt.

Ein nicht kleiner Teil der Handlung besteht aus prächtigen Bällen und Festivitäten, auf denen sich die heiratswilligen Damen von ihrer besten Seite präsentieren müssen, um eine möglichst gute Partie zu ergattern. Vor allem in diesen Sequenzen fängt «Bridgerton» die Macht der Blicke und die Rituale der höfischen Partnersuche ein. Wer seine Ohren spitzt, dürfte bei einigen Gelegenheiten verdächtig nach modernen Popstücken klingende Orchestermusik hören. Eine witzige Idee, die unterstreicht, dass es den Machern rund um Showrunner Chris Van Dusen keineswegs auf historische Genauigkeit ankommt. Zu spüren ist dies auch in der Darstellung des elitären, von Ehre und Ansehen besessenen Milieus. Schwarze Menschen wie Simon haben hier prestigeträchtige Positionen inne und erklimmen wie im Fall Charlottes sogar den Thron.

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Nicht nur mit ihrem divers aufgestellten Personenensemble hebt sich die Serie von vielen klassischen Kostümdramen ab. Auch durch ihre feministischen Gedanken will sie eigene Akzente setzen. Als Antithese zur patriarchalisch organisierten Gesellschaft bringt sich Eloise Bridgerton (Claudia Jessie), eine von Daphnes Schwestern, in Stellung, die ein von den Zwängen der Oberklasse befreites Leben führen möchte und dem pompösen, inszenierten Heiratszirkus mit Spott begegnet. Leider werden dem Zuschauer die emanzipatorischen Überlegungen ein ums andere Mal auf wenig elegante Weise unter die Nase gerieben. Feinschliff lässt die Netflix-Produktion, zumindest in den für diese Kritik gesichteten ersten vier Episoden, überdies in der Figurenzeichnung vermissen. Selbst die Protagonisten Daphne und Simon fühlen sich nach der Hälfte noch etwas unterentwickelt an. Bedauern kann man zudem, dass der satirische Anstrich, den Whistledowns Kommentare dem Treiben der High Society geben, nicht noch kräftiger ausfällt.

Über jeden Zweifel erhaben ist «Bridgerton» dagegen auf visueller Ebene. Offenkundig haben die Serienschöpfer keine Kosten und Mühen gescheut, um dem Auge des Betrachters zu schmeicheln. Prächtig ausgestattete Schauplätze, exquisite Kostüme und extravagante Frisuren sorgen für eine Opulenz, die manche Drehbuchschwäche in den Hintergrund treten lässt. Wer will, kann sich in der hier erschaffenen Welt rettungslos verlieren.

3 von 5 ★

«Bridgerton» ist ab dem 25. Dezember auf Netflix verfügbar.

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