Article1. Februar 2023

58. Solothurner Filmtage: Wie engagiert ist der Schweizer Film?

58. Solothurner Filmtage: Wie engagiert ist der Schweizer Film?
© Solothurner Filmtage

Der Schweizer Film werde politischer, meint Niccolò Castelli, der neue künstlerische Leiter der Solothurner Filmtage. Vom 18. bis 25. Januar 2023 fand die 58. Ausgabe des Festivals statt und die diesjährige Filmauswahl zielte auf die Bestätigung dieser Aussage ab.

Ein Artikel von Teresa Vena

Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope»

Den Startschuss machte bereits der Eröffnungsfilm «This Kind of Hope» von Pawel Siczek. Der Film erzählt von der politischen Karriere des ehemaligen belorussischen Diplomaten Andrei Sannikov. Unter Lukaschenko war Sannikov erst Experte für Militärangelegenheiten und für Aussenpolitik zuständig.

Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek
Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek © Solothurner Filmtage

Bald war er nicht mehr mit der zunehmend diktatorischen Führung des Präsidenten einverstanden und verlagerte sich in die Opposition. Mit letzterer ging man aber nicht besonders zimperlich um, sodass Sannikov wie auch seine Frau und einige ihrer Mitstreiter ins Gefängnis kamen. Auch nach seiner Freilassung nicht gewillt, sich dem herrschenden Regime zu unterwerfen, entschied sich Sannikov für das Exil nach Polen, wollte er doch sein Leben und das seiner Familie nicht aufs Spiel setzen.

In der bis auf den letzten Platz besetzten Reithalle wurde es still, die Stimmung war bedrückt, ehrfürchtig.– Cineman Filmkritikerin – Teresa Vena

Von diesem ungebrochenen, selbst heute noch idealistischen und gleichzeitig realistischen Mann erzählt der Film des polnisch-schweizerischen Regisseurs. Die Bezüge zur aktuellen Lage in der Ukraine und mit Russland sind offensichtlich und haben auch das Publikum in Solothurn sehr berührt.

In der bis auf den letzten Platz besetzten Reithalle wurde es still, die Stimmung war bedrückt, ehrfürchtig. Als die Protagonisten des Films auf die Bühne traten, bekamen sie einen langen Applaus, die Menschen erhoben sich dabei. Regisseur wie Festivalmacher waren ergriffen.

Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek
Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek © Solothurner Filmtage

Ein Land wie die Schweiz hat die Chance, Haltung zu zeigen.– Niccolò Castelli – Gastgeber der Solothurner Filmtage

Als Schweizer, fernab – aber auch nicht ganz so fern, wie Sannikov sagte, denn eine Rakete brauche nur wenige Sekunden, um Kriegsschauplatz in der Ukraine in die Schweiz zu gelangen – wolle man sich der eigenen Sonderstellung bewusst sein, meinte Castelli. Ein Land wie die Schweiz habe die Chance, Haltung zu zeigen.

Schweizer Filmemacher teilen die westliche Sicht auf die Welt. Abseits eines zu einfachen und oberflächlichen Schuldbekenntnisses oder einer Schuldzuschreibung, tragen wir, als Schweizer die Verantwortung genauer hinzuschauen, uns mit den Dingen auseinanderzusetzen.

Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek
Eröffnungsfilm 58. Solothurner Filmtage «This Kind of Hope» von Pawel Siczek © Solothurner Filmtage

Dieser Verantwortung wollten mehrere Autoren und Autorinnen nachkommen. Die Filme, die von Krieg erzählen oder von misslichen Umständen, von sozialen Ungerechtigkeiten und politischen Repressalien, waren in verschiedenen Rubriken des Festivalprogramms anzutreffen – als Dokumentarfilme sowie Spielfilme.

Haltung zeigen

Es ist eher ungewöhnlich, ein Festival mit einem derart politischen Film zu eröffnen. Denkbar wäre es, etwas Leichteres zum Einstieg zu wählen. Etwas, das «eine Pause vom Leben (bietet), das siech ausserhalb des Kinos abspielt», wie es Castelli selbst in seiner Eröffnungsrede sagte.

«This Kind of Hope» funktioniert aber vielmehr als einer der Filme, die einem bei der Beantwortung der Frage «wo ist mein Platz im Leben?» helfen sollen. So ergeht es auch dem Regisseur des Films Pawel Siczek, der auf der Bühne sagte: «Ich bin oft desorientiert im Leben, versuche mich darin zurechtzufinden. Deswegen mache ich Filme».

Ob man nun mit dieser Filmwahl als Einstimmung ins Festival zufrieden war oder nicht, die Solothurner Filmtage zeigten damit eine Haltung, die einige andere, grössere internationale Festivals zwar, gerade in der letzten Zeit predigen, aber nicht leben.

Man denke dabei an Cannes 2022, als zwar während der Eröffnungsfeier Selenskyj live zugeschaltet wurde und eine flammende Rede hielt, aber dann als Film der trashige Zombiefilm «Final Cut» von Michel Hazanavicius gezeigt wurde. Das musste man schon fast als Hohn ansehen. Umso mehr, dass mehrere ernsthafte, auch spezifisch auf den Ukrainekrieg bezugnehmende Filme sonst im Programm liefen.

Filme über soziale Themen

In Solothurn sind auch leichtere Filme zu sehen gewesen. Bleibt man beim Stichwort Trash beispielsweise, konnte man in der Rubrik Panorama Schweiz den Splatter-Film «Mad Heidi» von Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein nachschauen oder dann die Rentner-Komödie «Die goldenen Jahre» von Barbara Kulcsar.

Viele Filme über die Rubriken hinweg beschäftigen sich mit sozialpolitischen Themen. Einer von ihnen hat den Publikumspreis, Prix du public, gewonnen. Der Dokumentarfilm «Anime - Held auf Bewährung» von Dani Heusser erzählt von Amine Diare Conde, der als Asylbewerber aus Guinea in der Schweiz lebt. Dokumentarfilme sind eine Art sich mit der Realität auseinanderzusetzen, Spielfilme eine andere.

Splatter-Film «Mad Heidi» von Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein© Praesens-Film

So hat Lionel Baier in «La dérive des continents (au sud)» eine fiktive Geschichte erfunden, die in einem möglichen realen Kontext spielt. Der Regisseur macht ein Flüchtlingslager in Italien zum Schauplatz eines Eitelkeitenspektakels. Im Film geht es auch um Europapolitik und welche absurden Ausmasse sie annehmen kann.

Filmemacher sind keine Botschafter, daher ist es nicht unsere Aufgabe, die Stimme der Schweiz zu tragen.– Lionel Baier – Mitbegründer von Bande à part Films

Wieso macht ausgerechnet ein Schweizer Filmemacher einen Film darüber? Welche Rolle kommt ihm zu, ihm – oder ihr – der immer ein wenig als Zuschauer und Aussenseiter auf dem internationalen Parkett betrachtet wird?

Rentner-Komödie «Die goldenen Jahre» von Barbara Kulcsar© Filmcoopi

«Filmemacher sind keine Botschafter, daher ist es nicht unsere Aufgabe, die Stimme der Schweiz zu tragen. (...) Dennoch bin ich mir sicher, dass meine Weltanschauung durch die Tatsache, dass ich in der Schweiz aufgewachsen bin, beeinflusst wird. (...) Wir haben offiziell keine Kolonien gehabt, wir haben in letzter Zeit offiziell keinen Krieg mit einem anderen Land geführt. Das verleiht uns zwangsläufig einen anderen Blick auf die Welt. Als Westschweizer weiss ich auch, dass ich einer Minderheit angehöre, dass Französisch auf internationaler Ebene eine Randsprache ist. Das macht mich vielleicht sensibler für Minderheitenfragen.», sagt Baier.

Welchen Unterschied gibt es dabei zwischen dem Dokumentar- und dem Spielfilm? Der Regisseur meinte dazu: «Der Spielfilm ist in Prosa, der Dokumentarfilm in Versform. Das ist derselbe Unterschied, den es zwischen Roman und Gedicht gibt. Aber jedes Mal handelt es sich um eine subjektive Sicht auf eine Geschichte.»

Die Darstellung des Krieges

Besonderes Gewicht setzte das Festival auf Filmen, die von Kriegen handeln. Auch hier gab es fiktionale Werke wie «A Forgotten Man» von Laurent Nègre, wie eine Vielzahl von dokumentarischen. Im neuen Gesprächsformat «Fare Cinema» diskutierte Festivaldirektor Castelli mit den Machern von drei von ihnen.

«A Forgotten Man» von Laurent Nègre
«A Forgotten Man» von Laurent Nègre © Xenix Film

Jan Baumgartner Autor von «The DNA of Dignity» erzählte, dass er einmal Kriegsfotograf werden wollte, sich aber fürs Filmemachen entschieden hat. In seinem Film vermeidet er es, Namen und Orte zu nennen. Er wollte keine Schuldigen direkt identifizieren. Sein Film erzählt vom Kosovokrieg, viele Jahre später zwar, aber bei seinen Protagonisten ist das Trauma dennoch weiterhin spürbar frisch. Baumgartner sieht sich als Aussenstehender in der Verantwortung, neue Anregungen in bestehende Sichten einzubringen und Fragen zu stellen, die von innen vielleicht nicht möglich wären.

«Trained to See - Three Women and the War» von Luzia Schmid
«Trained to See - Three Women and the War» von Luzia Schmid © Solothurner Filmtage

Luzia Schmid rekonstruiert in «Trained to See - Three Women and the War» anhand von Archivmaterial das Leben dreier Kriegsberichterstatterinnen. Ihr Film macht deutlich, dass wichtig ist, wer über etwas, in diesem Fall den Zweiten Weltkrieg, berichtet, denn zwangsläufig beeinflussen persönliche Perspektiven das vermittelte Bild. Frauen an der Front sind weiterhin eine Ausnahme, als Reporterinnen sind sie auch noch heute in der Minderzahl.

«Trained to See - Three Women and the War» von Luzia Schmid
«Trained to See - Three Women and the War» von Luzia Schmid © Solothurner Filmtage

Einer der Männer, die diesen Beruf ausgeübt haben, ist Werner van Gent. Der gebürtige Niederländer, dem Michael Magee einen Dokumentarfilm gewidmet hat, erzählte in Solothurn von seiner Kriegserfahrung.

Für ihn sei es notwendig, dass der Journalismus und umso mehr die Kunst nicht aus den Augen verliere, dass es immer verschiedene Perspektiven darstelle. Die globale Sicht auf etwas brauche man, die Menschen, die Betroffenen, sprechen lassen, sei nur ein Teil der Arbeit, man müsse sie in einen grösseren Rahmen stellen.

Vielleicht ist es genau hier, wo Schweizer Autoren und Autorinnen ansetzen können, sich als Aussenseiter um eine möglichst «neutrale» Sicht bemühen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass man selten wirklich selbst unbeteiligt ist...

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