Interview

Ostertag & Rapp: «Schwule könnnen das eben»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Liebten sich lange Jahre im Verborgenen – jetzt stehen sie mit dem Schweizer Oscar-Kandidaten Der Kreis auch in Amerika im Rampenlicht: Ernst Ostertag und Röbi Rapp über Heimlichkeiten, Hass und Hollywood.

Ostertag & Rapp: «Schwule könnnen das eben»

Und dann, gegen Ende des Gesprächs, wenn man die letzten Fragen aufwirft, ruft der dritte Mann an, der auch Teil dieses schwulen Traumpaares ist, das sich wunderbar warmherzig und unzugeknöpft gibt.

Sie sind seit bald 60 Jahren ein Paar. Wie schafft man das?

Röbi Rapp: Indem man den Partner respektiert. Indem man ehrlich ist miteinander. Indem man ihn nicht verändern will. Man hat ihn ja gern, wie er ist. Man muss sich selber anpassen, dann geht das.

Ernst Ostertag: Jeder Mensch verändert sich. Man muss immer sehen, wie der Partner sich verändern will. Ich muss positiv auf ihn eingehen, sonst mauert er nur. Aber wir hatten auch immer eine offene Partnerschaft. Das können wir Schwule ja viel besser als Heteros.

Der Kreis, ein Dreieck? Es brauche eben Zeit, lacht Ernst Ostertag, bis man zu den wichtigen Dingen vorstosse. Röbi Rapp nickt und sagt ins Telefon: «Nein, Lieber, du brauchst nichts einzukaufen.» Eine alltägliche und doch fast filmreife Szene, die es – so oder ähnlich – gerade nicht in den «Kreis» geschafft hat, jenen Schweizer Oscar-Kandidaten, der eine grosse Liebesgeschichte erzählt, die neckischerweise damit anfing, dass im schwulen Untergrund im Zürich der fünfziger Jahre ein junger Lehrer einer blonden Entertainerin verfiel, die sich beim genaueren Hinsehen als Mann entpuppte. Liebe auf den zweiten Blick war es, und seither gehen die beiden Männer gemeinsam durch das Leben.

So gut das geht.

So gut das ging.

Man habe sich lange nicht Seite an Seite blicken lassen, erinnert sich Ernst Ostertag, schon gar nicht auf der Strasse, Eine Grundregel war: Wenn man jemanden aus dem «Kreis» trifft, und er ist allein, darf man ihn ansprechen. Ist er aber in Begleitung, verhält man sich so, als ob man sich nicht kennt. «So war das auch bei uns», erinnert sich Ostertag, «wir sind immer ein paar Schritte hintereinander durch die Stadt gegangen.» Rapp nickt wieder, und es ist Ostertag, der mit einer verblüffenden Offenheit über ihre harmonische Dreierbeziehung erzählt, die sie seit nunmehr zwölf Jahren leben, dass den Besucher in ihrem Wohnzimmer der Hauch einer Ahnung davon überfällt, welche Bedrohung das schwule Liebesleben in den – bestenfalls halboffenen – Augen der Gesellschaft vor 60 Jahren gewesen sein musste, und im Grunde heute noch ist. Sie hätten übrigens auch erst einmal lernen müssen, dass es junge Männer gebe, die ältere Herrschaften wie sie begehrten, ergänzt Ostertag, während Rapp in den Hörer ruft: «Fahr' noch nicht los, Lieber, es hat doch viel zu viel Verkehr um diese Zeit.» Er wolle, so Ostertag in einer einzigen, gespielten Szene im Film zu seinem Geliebten, halt schon auch mit anderen Männern Sex haben können. Mehr als diese Andeutung, dass da mehr war als eine vernagelte Zweierkiste, gibt es im Film nicht.

Kam es Ihnen nicht unrichtig vor, im Film das schwule Vorzeigepaar geben zu müssen, das noch immer vor einer Moralvorstellung zu bestehen hat, die sich im ewigen Treuegelübde der Hochzeit ausspricht?

Ostertag: Wir entschieden uns, so in die Öffentlichkeit zu gehen, als wir für das Partnerschaftsgesetz warben und wurden zum idealen Schwulenpaar. Mit diesem Bild haben wir auch gearbeitet – das war ein politischer Entscheid. Wir haben nie von irgendwelchen Abenteuern erzählt.

Sich gegenseitig aber selbstverständlich schon.

Ostertag: Wenn jemand ein Abenteuer hatte, haben wir diesen Menschen dem Partner immer vorgestellt. Es gab dann manchmal Freundschaften zu dritt, und es gab auch schon Sex zu dritt. Das haben wir aber nicht erzählt, weil Schwule das eben können und Heteros nicht.

Warum können Heteros das schon wieder nicht?

Ostertag: Wenn ich einen Sexpartner heimbringe, ist er immer auch ein potentieller Sexpartner für meinen Partner. Aber das sind komplizierte Vorgänge, die wollten wir im Film nicht zur Sprache bringen. Es braucht lange, bis ein Hetero das nachvollziehen kann. (lacht)

Sie wollten keine Schwulenklischees zementieren.

Ostertag: Man denkt sofort, die Schwulen können machen, was sie wollen, und ich armer Hetero brauche viel mehr Zeit und Geld, bis ich eine Frau im Bett habe. Das stimmt – aber ich muss nicht den Neid provozieren, wenn ich politisch vorgehen will.

«Love ain't a crime» ist die unschweizerdeutsche, aber dennoch deutliche Ansage des Films von Stefan Haupt, und Ernst Ostertags tadelloses Bühnen-Englisch macht das Mitglied der «Royal Shakespeare Company» natürlich auch im Ausland zum idealen Sprachrohr in eigener Sache. Rapp und Ostertag, sagt Produzent Ivan Madeo, seien einer der Hauptgründe, warum der Film so gut ankomme. Ein Traumpaar, auch wenn, «genau, das ist immer das Problem», Rapp oft nicht zu Wort kommt. Seit ein paar Monaten reisen sie mit Der Kreis um die halbe Welt, aber sie haben sich schon vorher für das Erbe des «Kreis» eingesetzt, dem Schweizer Wegbereiter der schwulen Emanzipation. Sie haben in der Schweiz und in Deutschland grosse Ausstellungen organisiert, haben die helvetische Schwulengeschichte aufgearbeitet (www.schwulengeschichte.ch), ein Buch über ihre Liebe schreiben und sich 2003 in Zürich als allererstes Paar standesamtlich zu Mann und Mann erklären lassen. Rapp und Ostertag waren denn auch die treibende Kraft hinter dem Film. «Dazu ist zu sagen», meint Rapp, «wir hatten so viel Zeit, weil wir pensioniert waren.»

Der Kreis war zunächst als reiner Spielfilm geplant. Sie werden als Einzige froh gewesen sein, als er sich nicht finanzieren liess, weil Ihnen selbst erst die Mischform Dokufiction einen grossen Auftritt vor der Kamera ermöglichte?

Ostertag: Richtig glücklich waren wir. Bloss durften wir das am Anfang niemandem sagen. (lacht)

So viel mediale Öffentlichkeit nach den langen Jahren im Verborgenen: Empfinden Sie das «nur» als späte Genugtuung, oder wird es Ihnen auch mal zu viel?

Rapp: Wer erlebt schon so etwas mit gut 84? Was da auf uns zugekommen ist, die vielen Interviews, die vielen Vorführungen, die vielen Standing Ovations, das ist doch unglaublich.

Ostertag: Da spricht das Bühnentier. (lacht)

Rapp: Auch diese Empfänge auf den Schweizer Generalkonsulaten in New York und Los Angeles. Wir wurden sogar in den Ansprachen des jeweiligen Generalkonsuls erwähnt.

Ostertag: Wir machen das ja auch, damit diejenigen, die es sehr viel schwerer hatten, nicht vergessen werden. Aus Dankbarkeit jenen echten Pionieren gegenüber, wie etwa dem Leiter des «Kreis».

Rapp: Von denen lebt ja keiner mehr. Das bedrückt uns auch: Dass wir Einzigen sind, die noch leben.

Dieser Zuspruch überall: Da werden Sie sich immer wieder verwundert die Augen reiben?

Ostertag: Ein endloses Staunen ist das. Und eine tiefe innere Freude. Die trägt über alles hinaus und geht zurück bis ganz an den Anfang unseres Lebens. Dass das jetzt möglich ist und so ein Echo findet. Und dass man weiss, was früher war, das ist so schnell nicht wieder zu vergessen.

In mittlerweile 17 Screenings haben sie den Film mit Publikum gesehen und danach in persönlichen Gesprächen Fragen beantwortet. Zuletzt waren sie mit Regisseur Stefan Haupt zwei Wochen lang in Amerika, New York, San Francisco, Los Angeles, Palm Springs. Aber erst wollen sie über Italien reden: «Unmittelbar existenzbedrohend», sei das Schwulsein da an vielen Orten noch, führt Ostertag aus, «aber das haben wir auch in Deutschland kennen gelernt. Die sagen klar: Was im Film gezeigt wird, mag zwar 50, 60 Jahre her sein. Aber unsere Situation ist genau so.» Man meine ja, sagt Ostertag, wir hätten gute Gesetze und das gesellschaftliche Klima habe sich verändert, aber offenbar sei das in vielen Köpfen noch nicht durch.

24 Stunden nach Ihrem Auftritt in Kiew hat das Kino gebrannt, in dem Sie mit Ihrem Film zu Gast waren. Wie tief sass der Schock?

Ostertag: Mir haben die Leute leid getan. Ein Anschlag ist zwar eine Hasstat. Aber jede Hasstat hat ihren positiven Aspekt, und sei es nur den, dass sie einen Märtyrer hervorbringt. Wenn ein Feuer brennt, tut es das auch in vielen Köpfen und Herzen. Das schafft Motivation.

Woher nehmen Sie diese Zuversicht?

Ostertag: Die mussten wir lernen. Und irgendwie haben wir das schon im «Kreis» gelernt. Wichtig war damals, dass man einen Ort hatte, wo man sich unterhalten konnte. Schwul sein, das ist auch ein einigender Faktor. Man findet auf dieser Basis schneller eine gemeinsame Ebene, man muss sich nicht verstecken.

Grossfrage: Wie gut ist denn die Welt, in der Schwule heute leben?

Rapp: Momentan haben wir es sehr gut. Aber man darf nicht denken, das sei selbstverständlich. Es kann auch wieder ins Negative umschlagen. Und man darf nie vergessen: Die Bortoluzzis wird es immer geben.

Ostertag: Es gehört zur Demokratie, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das erreicht man nie vollständig, darum muss man immer wieder kämpfen. Wird es wirtschaftlich schwieriger, sucht man sich wieder einen festen Halt und meint, ihn ihn in alten Traditionen zu finden. Aber eine Demokratie lebt davon, dass man den Ist-Zustand dauernd hinterfragt. Ich bin immer froh um die Bortoluzzis, die regelmässig über die Stränge hauen. Das zeigt, dass man nicht nur noch «Party, Party» machen kann.

Haben gerade junge Schwule vergessen, wofür Sie gekämpft haben? Sind sie geschichtsmüde? Der Kreis ist in der Schweiz nun nicht gerade ein Kassenschlager.

Ostertag: Das ist eben kein Unterhaltungsfilm. Dass nur ein kleiner Prozentsatz der Schwulen sich den Film anschaut, erinnert mich sehr stark an den «Kreis». Man hat sich auch immer vorgerechnet: Wir haben ein paar hundert Mitglieder, aber wie viele Schwule gibt es im Land?

Tönen Sie jetzt ein bisschen frustriert?

Ostertag: Man muss wissen, dass alles, was man tut, relativ ist. Du setzt dich ein, gut. Man ist ein Schrittchen weiter, vielleicht. Was wir hier erleben ist grossartig, aber in zehn Jahren vergessen. Oder schon in zwei.

Wenn Sie mit Stefan Haupt durch die USA touren, sind Sie auch Teil einer Kampagne, haben auch die wohl nicht immer nur angenehme Funktion, einen Film zu verkaufen, der einen Oscar gewinnen will. Wie fühlt sich das an?

Ostertag: Ich verstehe mich nicht als Funktionär. Ich sehe mich als Menschen, der sieht, dass Menschen Fragen haben. Und wenn ich auf sie eingehe, mache ich die Kampagnen-Leiter glücklich. Röbi und ich machen keine Theorie. sind nicht Filmfachleute, sondern Protagonisten, Zeitzeugen. Das ist unsere Stellung im Team mit Stefan Haupt. Und so holen wir gewissen Stimmen.

Der für Sie bewegendste Moment in den zwei Wochen Amerika?

Rapp: Es ist schon unbeschreiblich, wenn du in Los Angeles über den «Walk of Fame» gehst. Wir wurden auch zum Observatorium gefahren und haben über die ganze Stadt gesehen. Da stand am Berg hinter uns der Schriftzug Hollywood, und uns zu Füssen lag diese Filmstadt. Das ist schon ein ganz besonderes Gefühl.

Ostertag: Für mich waren es die beiden Empfänge auf den Generalkonsulaten in New York und Los Angeles. Das hat mich stark berührt: Es war nicht in einem Nebensatz verborgen, dass wir eventuell schwul seien. Das war von Anfang an völlig klar und stand im Zentrum. Und dann war da eine zweifelsfreie Anerkennung, was mir allerdings immer ein bisschen peinlich ist.

Weil Sie den Schauspielern regelmässig die Show stehlen?

Ostertag: Nein, das ist mein protestantisches Erbe. Ich stehe nicht so gern im Mittelpunkt.

Rapp: Ich habe da weniger Mühe.

Ostertag: (lacht) Ich verstecke mich dann immer hinter ihm.

Angenehm offen hatte sich das Gespräch im Zürcher-Seefeld auch schon angelassen. Früher Vorabend, früher Dezember, Ernst Ostertag will nur noch rasch ein paar Fragen loswerden, die er nach England mailen muss, wo Der Kreis demnächst anläuft. Vor ein paar Tagen hat er dem «Guardian» Rede und Antwort gestanden, wie jetzt hinter seinem Computer sitzend, neben dem zwei Pinsel liegen. Die berühmten Staubwedel, die es auch in den Film geschafft haben? «Ich hab's halt gerne sauber», sagt Ostertag. Der frühere Lehrer mag die schriftliche Form, auch wenn er dem Besucher mal eben einigermassen indiskret («Das sind ja vielleicht dieselben, die Sie uns stellen wollen?») kluge englische Fragen vorliest und seine hübsch gedrechselten Antworten inklusive, die sich im besten Falle nicht die Bohne um die Fragen kümmern. Das tönt dann etwa so: «Guter Sex kann zu Liebe, besserem Verständnis und einer guten Partnerschaft führen, will sagen: zu dem Respekt für einen Menschen, der ihn vielleicht erst zu dem werden lässt, der er gerne wäre.» «Yes», sagt Röbi Rapp, der nicht ein Wort Englisch sprach, als er Ostertag seinerzeit kennen lernte.

Mehr zum Thema: Der Kreis ist heiss – Das Oscar-Rennen 2015

9. December 2014

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