Interview16. Oktober 2019

Regisseurin Ursula Macfarlane zu «Untouchable»: "Harvey Weinsteins Leben ist eine klassische Tragödie"

Regisseurin Ursula Macfarlane zu «Untouchable»: "Harvey Weinsteins Leben ist eine klassische Tragödie"
© Ascot Elite

Der Skandal rund um Harvey Weinstein hielt im Herbst 2017 ganz Hollywood in Atem. Die Dokumentation «Untouchable - The inside story of the Harvey Weinstein scandal» rollt den Fall nun nochmals auf und beleuchtet den Aufstieg und Fall des Filmmoguls. Regisseurin Ursula Macfarlane sprach mit uns am Zurich Film Festival über das Dilemma der betroffenen Frauen und die Faszination an Dokus.

Interview von Théo Metais

Was war für Sie der Auslöser für den Film?

Ursula Macfarlane: Da gibt es eine Menge Gründe. Zum einen war es damals, als das Thema vom «New Yorker» und der «New York Times» aufgegriffen wurde, eine riesige Sache. Alle haben die News mitbekommen. Und als ich mit meinem Umfeld sprach, habe ich realisiert, dass praktisch jede Frau und auch einige Männer schon einmal mit einer Art Missbrauch – oder in diesem Fall Machtmissbrauch – konfrontiert waren.

Als ich den Anruf von Simon Chinn, dem grossartigen Produzenten von «Searching for Sugar Man» bekommen habe, war es für mich deshalb sofort ein klares Ja – das ist so eine wichtige Geschichte in der heutigen Zeit.

Viele Leute wollen noch immer nicht darüber reden – weil sie mitschuldig sind und viel zu verlieren haben.– Regisseurin Ursula Macfarlane

Im Film werden die betroffenen Frauen portraitiert, aber nicht nur. Was war ihre Herangehensweise?

Ursula Macfarlane: Als es um die Umsetzung ging, haben wir entschieden, dass es nicht nur um die Anschuldigungen der Frauen gehen kann. Man muss als Zuschauer den Kontext verstehen.

Dann kam mir der Gedanke, dass dies eine grossartige Tragödie ist: Dieser äusserst mächtige Mann, der jeden mächtigen Mann in der Geschichte repräsentiert, steigt auf, verändert sein Berufsfeld, und jeder will mit ihm arbeiten – dank seines Talents, das man ihm nicht absprechen kann.

Seine fatale Schwachstelle ist jedoch sein Umgang mit Missbrauch, der fast einer Sucht gleicht, weshalb es zum grossen Fall kommt – die drei Achsen einer Tragödie. Ein guter Rahmen, diesen Machtmissbrauch darzustellen. Die Geschichte der Frauen ist zwar sehr wichtig, der Aufstieg und Fall von Harvey Weinstein war aber unser Gerüst.

Oft sind die besten Geschichten die wahren Geschichten.– Regisseurin Ursula Macfarlane

Wie sind Sie an die Betroffenen gelangt?

Ursula Macfarlane: An viele Frauen sind wir über die Reportagen in der «New York Times» und im «New Yorker» gekommen. Und über Recherche ist mein Produzent auf hunderte von Personen gestossen; Regisseure, die mit Weinstein gearbeitet haben, oder ehemalige Angestellte von Miramax. Daraus haben sich viele interessante Gespräche ergeben – das Ärgerliche war aber, dass diese Personen häufig nicht bereit waren, vor der Kamera auszusagen.

Es hat uns aber nichtsdestotrotz geholfen, Harvey Weinstein besser zu verstehen. Viele Leute wollen immer noch nicht darüber reden, weil sie mitschuldig sind und viel zu verlieren haben. Ich bin froh, dass wir Leute im Film haben, die ihren Teil zum Erfolg von Harvey Weinstein beigetragen haben und dennoch aussagen – das ist sehr mutig.

Ursula Macfarlane (zweite von links) an der Premiere von «Untouchable» am Sundance Festival.
Ursula Macfarlane (zweite von links) an der Premiere von «Untouchable» am Sundance Festival. © IMDB

Inwiefern haben Sie bei diesem doch eher heiklen Thema für eine angenehme Interview-Atmosphäre gesorgt?

Ursula Macfarlane: Wir haben im Vorfeld viel mit ihnen gesprochen, um ihnen zu zeigen, dass sie uns vertrauen können. Beim Interview haben wir schwarze Tücher aufgehängt, damit man all die Kameras und das Filmteam nicht mehr gesehen hat und somit der Druck weg war. Viele Missbrauchsopfer reden nicht gerne über das, was ihnen passiert ist – weil sie sich schämen und weil sie befürchten, dass man ihnen nicht glaubt.

Man hört Geschichten von Frauen, deren Mütter ihnen nicht glauben. Harvey Weinstein hatte zu Beginn in Buffalo sogar die Polizei hinter sich – was macht man da? Sobald aber jemand da ist, der einem Glauben schenkt und zum Erzählen auffordert, geht das leichter von der Hand.

«Untouchable» erinnert sehr an «Grâce à Dieu» oder die Netflix-Serie «Unbelievable». Haben Sie sich je überlegt, einen Spielfilm aus dem Thema zu machen?

Nicht wirklich, nein. Megan Twohey und Jodi Kantor, zwei Journalistinnen der «New York Times», sind zurzeit gerade an einem Film dran, der so ähnlich wird wie «Spotlight». Das finde ich fantastisch. Ich selbst hatte den Eindruck, dass eine Dokumentation perfekt passt, gerade weil die echten Personen zu Wort kommen, denen das passiert ist.

Zurzeit bin ich aber an einem Spielfilm dran über eine junge Frau in England, die mit 15 Jahren in die Prostitution gezwungen wurde – eine wahre Geschichte, ähnlich wie in «Erin Brockovich». Diese Geschichte könnte ich nicht als Doku aufbereiten, weil die Beteiligten nicht mit mir reden würden. Oft sind aber die besten Geschichten wahre Geschichten. Und das ist auch die wahre Stärke von Dokumentationen: Die Realität dahinter.

«Untouchable - The inside story of the Harvey Weinstein affair» ist ab dem 17. Oktober in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.

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