Review9. April 2021

Netflix-Kritik «Thunder Force»: verschenkte Frauenpower

Netflix-Kritik «Thunder Force»: verschenkte Frauenpower
© Netflix

Melissa McCarthy und Octavia Spencer als Superheldinnen im Kampf gegen genetisch transformierte Soziopathen: Die Actionkomödie «Thunder Force» wartet mit grossem schauspielerischem Potenzial auf, ist aber nur selten unterhaltsam.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

«Tammy», «Die Chefin», «Life of the Party» und «Superintelligence» – bereits in vier Filmen inszenierte Ben Falcone seine Ehefrau Melissa McCarthy in der Hauptrolle. Doch leider wusste er ihre darstellerische Kraft noch nie richtig auszuschöpfen. Mehrfach verkörperte der «Mike & Molly»-Star die Rolle der Draufgängerin mit losem Mundwerk und musste so manchen schlechten Witz zum Besten geben. Angesichts dieser Vorgeschichte drängten sich bei «Thunder Force», der fünften Zusammenarbeit des Paares, fast zwangsläufig böse Vorahnungen auf. Vorahnungen, die der Superheldenstreifen nicht entkräften kann.

Hält man sich vor Augen, wie sehr Männer den Superheldenfilm der letzten Jahrzehnte dominiert haben, ist es zudem erfreulich, dass hier einmal zwei Frauen, noch dazu ohne Modelmasse, ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten in den Dienst einer guten Sache stellen.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

© Netflix

Positiv hervorheben sollte man zunächst einmal, dass die Netflix-Produktion im Gegensatz zu vielen anderen Übermenschen-retten-die-Welt-Erzählungen ein Originalstoff ist, den Falcone selbst zu Papier brachte. Hält man sich vor Augen, wie sehr Männer den Superheldenfilm der letzten Jahrzehnte dominiert haben, ist es zudem erfreulich, dass hier einmal zwei Frauen, noch dazu ohne Modelmasse, ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten in den Dienst einer guten Sache stellen. Wiederholt entsteht der Eindruck, «Thunder Force» wolle das Genre der überlebensgrossen Beschützer persiflieren. Verheissungsvolle Ansätze versanden allerdings regelmässig.

Hoffnungen auf ein pfiffiges, filmisch interessantes Abenteuer schürt auch der in Form eines Comicstrips dargebotene Auftakt, der die Gegebenheiten der Story-Welt erläutert: Nachdem im März 1983 interstellare kosmische Strahlung die Erde getroffen hat, kommt es bei einigen wenigen Menschen, die allesamt anfällig für soziopathische Neigungen sind, zu genetischen Transformationen, aus denen schliesslich besondere Kräfte erwachsen.

Das Beste am ganzen Film sind der comicartige Einstieg und der ebenso gestaltete Ausstieg. Dazwischen liegen Geschehnisse, die weder für ein aufregendes Superheldenabenteuer taugen, noch als gewitzte Parodie auf eingefahrene Muster funktionieren.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Dem Terror dieser zerstörungswütigen Superwesen fallen im Jahr 1988 – wir befinden uns nun auf der Realfilmebene – die Eltern der jungen Emily Stanton (Bria D. Singleton) zum Opfer. Fortan macht es sich das Mädchen zur Aufgabe, so lange zu forschen, bis es einfachen Menschen übernatürliche Eigenschaften verleihen und die als «Miscreants» bezeichneten Bösewichte stoppen kann. In der Schule wird Emily als Nerd verspottet, findet in der um keinen Spruch verlegenen Lydia Berman (Vivian Falcone, die Tochter des Ehepaars Falcone/McCarthy) aber eine gute Freundin. Weil die Waise fast all ihre Energie in ihr grosses Ziel steckt, geraten die beiden im Teenageralter in einen Streit, an dessen Ende sie getrennte Wege gehen.

Viele Jahre später will die inzwischen auf einem Containerplatz Gabelstapler fahrende Lydia (Melissa McCarthy) ihre frühere, beruflich enorm erfolgreiche Freundin (Octavia Spencer) zu einem Klassentreffen schleppen und schaut daher unverhofft in Emilys Hightech-Unternehmen vorbei. Getrieben von ihrer Neugier missachtet die Besucherin die Anweisung, nichts anzufassen, und setzt in einem Laborraum versehentlich einen Behandlungsprozess in Gang, der sie mit langsam wachsenden Superkräften ausstattet. Weil sich die Prozedur nicht einfach rückgängig machen lässt, begleitet die anfangs verärgerte Emily Lydia durch eine Trainingsphase, während sie selbst daran arbeitet, die Gabe der Unsichtbarkeit zu erlangen. Im Anschluss raufen sich die Frauen zu einem Superheldinnenteam zusammen und wollen den nach wie vor Schrecken verbreitenden Miscreants das Handwerk legen. Durch ihr Eingreifen ziehen sie die Aufmerksamkeit des zwielichtigen The King (Bobby Cannavale) auf sich, der das Bürgermeisteramt in Chicago anstrebt.

© Netflix

Sporadisch hält die Actionkomödie zwar amüsante Momente bereit. Zum Beispiel dann, wenn sich Lydia über ihr stinkendes Kostüm auslässt, das man nicht waschen kann. Die meiste Zeit reihen sich aber platte Gags, willkürlich eingeworfene Popkulturzitate, auf McCarthys Statur abhebende Slapstick-Einlagen und ermüdende Absurditäten aneinander. Lustig soll es etwa sein, dass Lydia nach ihrer Verwandlung mehrfach Heisshunger auf rohes Hühnerfleisch hat. Und für originell hält Falcone einen bizarren romantischen Subplot, der Jason Bateman als Mann mit Krebsscherenhänden sträflich unterfordert.

Die Ausdruckskraft der beiden Hauptdarstellerinnen – Spencer ist Oscar-Gewinnerin, und ihre Kollegin wurde zwei Mal für den Academy Award nominiert – kommt in der lieblos zusammengebauten, mit flachen Dialogen gespickten Geschichte, die ihre Protagonistinnen oberflächlich einführt und eindimensionale Gegenspieler auflaufen lässt, nicht zum Tragen. Ins Bild passt auch, dass mit Emilys Tochter Tracy (Taylor Mosby) und ihrer Geschäftspartnerin Allie (Melissa Leo) zwei Figuren in Erscheinung treten, die angeblich etwas zur Handlung beitragen, sich tatsächlich aber als blutleere Stichwortgeberinnen entpuppen. Nach 105 zumeist enttäuschenden Minuten lässt sich festhalten: Das Beste am ganzen Film sind der comicartige Einstieg und der ebenso gestaltete Ausstieg. Dazwischen liegen Geschehnisse, die weder für ein aufregendes Superheldenabenteuer taugen, noch als gewitzte Parodie auf eingefahrene Muster funktionieren.

1.5 von 5 ★

«Thunder Force» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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