Review19. Januar 2021

Netflix-Kritik «Der weisse Tiger»: Im Land der Herren und Diener

Netflix-Kritik «Der weisse Tiger»: Im Land der Herren und Diener
© Netflix

Die indische Produktion basiert auf einem dortigen Bestseller, der das Ungleichgewicht in der indischen Gesellschaft an den Pranger stellt. Mit wenigen Reichen, aber vielen Armen, die den niederen Kasten angehören und kaum jemals zu hoffen wagen dürfen, diesen überhaupt zu entkommen. So ergeht es auch der Hauptfigur, die uns ihre Geschichte selbst erzählt. Oder eigentlich erzählt Balram sie in seinem Schreiben dem chinesischen Premierminister, mit dem er gerne ins Geschäft kommen möchte.

Serienkritik von Peter Osteried

Balram ist ein Diener. Er wurde so erzogen, er ist damit so, wie fast jeder in Indien ist – bereit, für die Reichen den Buckel krumm zu machen. In Delhi ergattert Balram einen Job als Fahrer einer reichen Familie. Er wird von seinem Herrn alles andere als gut behandelt, aber er beschwert sich nicht, auch dann nicht, als man die Schuld an einem Unfall auf ihn abwälzen will. Balram scheint seinem Schicksal ergeben, bis er erkennt, dass er sich nur darüber erheben kann, wenn er bereit ist, etwas zu wagen.

Der Film ist clever gemacht.– Cineman-Filmkritiker Peter Osteried

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Der Film ist clever gemacht. Er lässt den Zuschauer ganz und gar Balrams Perspektive einnehmen. Die des Underdogs, dem man im Medium Film schon immer die Daumen gedrückt hat, dass er sich über seine Herkunft oder seine Unterdrücker erhebt – oder beides. Das geschieht auch hier.

Man weiss, dass Balram es schafft, seinen Weg an die Spitze nachzuvollziehen, macht aber den eigentlichen Reiz des Films aus. Denn er zeigt auch auf schonungslose Weise, was das Kastensystem in Indien wirklich bedeutet. Die, die es sich leisten können, haben Diener, die sie kaum besser als Sklaven behandeln. Und die Hungerleider müssen gute Miene zum bösen Spiel machen, weil das bisschen Geld, das sie bekommen, sie und ihre Familien am Leben erhält.

Ein sehenswerter, durchweg interessanter Film, den man nicht aus Bollywood-Antipathie auslassen sollte.– Cineman-Filmkritiker Peter Osteried

«Der weisse Tiger» ist in seiner Heimat politischer Sprengstoff, weil er auch die Korruption anprangert. Eigentlich ist es der totale Rundumschlag, an dessen Ende nicht das Plädoyer auf eine bessere Gesellschaft, sondern nur die Erkenntnis steht, dass einer, der aus dem Nichts kam und es zu etwas brachte, nicht so sein muss wie die, die er einst Herren nannte.

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Ein sehenswerter, durchweg interessanter Film, den man nicht aus Bollywood-Antipathie auslassen sollte. Denn gesungen und getanzt wird hier nicht. Stattdessen gibt es ein intensives, manchmal auch sehr verspielt dargebotenes Drama mit überragenden schauspielerischen Leistungen und einer Geschichte, die den Blick in eine Kultur erlaubt, nach dem man doch recht froh ist, in einer freiheitlicheren Gesellschaft zu leben.

4 von 5 ★

«Der weisse Tiger» ist ab dem 22. Januar 2021 auf Netflix verfügbar.

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