Article5. Oktober 2021

Filmtagebuch: Keine Hoffnung mehr? Endzeitfilme abseits des Mainstreams

Filmtagebuch: Keine Hoffnung mehr? Endzeitfilme abseits des Mainstreams

Nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben Endzeitfilme Hochkonjunktur. Bilder einer in Trümmern liegenden Welt, einer Gesellschaft am Abgrund geistern seit vielen Jahren in rauen Mengen über die grosse Leinwand und scheinen vor allem eins zu betonen: Seine Zukunft hat sich der Mensch selbst verbaut.

Christopher Diekhaus

Erst kürzlich startete hierzulande bei Disney+ die Comicadaption «Y: The Last Man», in der nach einer nebulösen Katastrophe nahezu alle Lebewesen mit Y-Chromosom sterben. Die Serienveröffentlichung wollen wir zum Anlass nehmen, um einige Untergangsgeschichten aus dem Kino vorzustellen, die eigene Wege gehen und sich von den Krawallformeln Hollywoods freimachen.

1. «A Boy and His Dog» (1975)

© IMDb

Darum geht’s: Nach einem Atomkrieg haben sich die USA im Jahr 2024 in ein Ödland verwandelt, das nur noch das Recht des Stärkeren kennt. Auf der Suche nach Sex und Nahrung streift der ohne moralische Grundsätze aufgewachsene Teenager Vic (Don Johnson) mit seinem telepathisch begabten Hund Blood durch den Südwesten und führt mit seinem vierbeinigen Begleiter fortlaufend Gespräche. Als die beiden auf eine Frau namens Quilla June (Susanne Benton) treffen, lässt sich Vic in eine gefährliche unterirdische Welt locken.

Hier erwähnenswert, weil… der provokante, sicherlich diskutable, auf eine Kurzgeschichte Harlan Ellisons zurückgehende Postapokalypse-Streifen den Zuschauer gleich in mehrfacher Hinsicht herausfordert. Der Protagonist ist kein Sympathieträger, sondern ein sexbesessener Vergewaltiger. Die Beziehung zu seinem Hund wird als das einzig hoffnungsvolle Zeichen in einer vollkommen verrohten Welt beschrieben.

Das Geschehen ist mit einer ordentlichen Portion Zynismus abgeschmeckt. Und ständig konfrontiert uns Regisseur L. Q. Jones mit grotesken Einfällen. Keine Frage, von konfektionierter Endzeitmassenware à la Hollywood könnte der unabhängig produzierte Film, der angeblich eine der Inspirationsquellen für die Videospielreihe «Fallout» war, nicht weiter entfernt sein.

Verfügbar auf DVD und Blu-ray

2. «Quiet Earth – Das letzte Experiment» (1985)

© IMDb

Darum geht’s: Als der an einem internationalen Projekt beteiligte Wissenschaftler Zac Hobson (Bruno Lawrence) an einem 5. Juli erwacht, spürt er bereits, dass irgendetwas anders ist. Wie immer macht er sich auf den Weg zur Arbeit. Dabei fährt er allerdings durch eine leere Stadt. Nur wenig später begreift er, dass das von ihm mitgetragene Experiment aus dem Ruder gelaufen ist und niemand ausser ihm die Katastrophe überlebt hat. Als seine Suche nach anderen Menschen keine Erfolge bringt, verschlechtert sich sein geistiger Zustand rapide. Doch dann macht er eine überraschende Entdeckung.

Sehenswert, weil… das neuseeländische Science-Fiction-Drama, das lose auf einem Roman des Schriftstellers Craig Harrison basiert, ohne Spezialeffektgewitter auskommt und auf unaufgeregte Weise davon erzählt, wie bedrückend es sein muss, wenn man glaubt, keine Mitmenschen mehr zu haben.

Die Geschichte erinnert an den Charlton-Heston-Klassiker «Der Omega-Mann», eine Adaption des Buches «Ich bin Legende» von Richard Matheson, entfaltet aber eine eigenständige existenzialistische Stimmung. Für den Sog des Films ist nicht zuletzt Hauptdarsteller Bruno Lawrence verantwortlich, dessen elektrisierende Performance nach Erscheinen von «Quiet Earth – Das letzte Experiment» zu Recht von vielen Kritikern gelobt wurde.

Verfügbar auf DVD und Blu-ray

3. «12 Monkeys» (1995)

Darum geht’s: Mehrere Jahrzehnte nachdem eine verheerende Viruspandemie einen Grossteil der Menschheit ausgelöscht hat, soll der Sträfling James Cole (Bruce Willis) für eine Gruppe Wissenschaftler in der Zeit zurückreisen und Informationen über die genauen Umstände der Katastrophe sammeln. Durch einen Fehler taucht er jedoch einige Jahre zu früh auf und landet wegen seiner Warnungen vor der Apokalypse geradewegs in einer Nervenklinik. Dort lernt er nicht nur den hyperaktiven, überall Verschwörungen vermutenden Jeffrey Goines (Brad Pitt) kennen, sondern auch die Psychiaterin Kathryn Railly (Madeleine Stowe), die ihn zunächst für krank hält.

Sehenswert, weil… Regisseur Terry Gilliam mit allen zur Verfügung stehenden filmischen Mitteln eine komplett aus den Fugen geratene Welt heraufbeschwört. Schräge Kameraperspektiven, Sprünge in der Erzählzeit, fiebrige Schauspieldarbietungen, eine eigenwillig-düstere Ausstattung und kapitalismuskritische Einwürfe vermischen sich zu einem bizarren Erlebnis, das das Gefühl umfassender Verunsicherung direkt auf den Zuschauer überträgt. Hochaktuell wirkt der Science-Fiction-Thriller zum einen wegen seiner Virusthematik und zum anderen, weil das Gerede über versteckte Zeichen und heimliche Gedankenkontrolle erschreckend nah an den heutigen Verschwörungsnarrativen ist.

Verfügbar auf Amazon Prime

Cineman-User-Kritik: 4.4 von 5 ★

4. «Das ist das Ende» (2013)

Darum geht’s: Der kanadische Schauspieler Jay Baruchel besucht seine alten Kumpel Seth Rogan in Los Angeles und lässt sich von diesem auf eine Einweihungsparty bei James Franco schleppen. Als der mit den anderen prominenten Gästen nicht richtig warm werdende Jay mit Seth die Feier kurz verlässt, kommt es zu ersten seltsamen Ereignissen, die sich als Vorboten einer Apokalypse entpuppen. Zurück in Francos Haus verschanzen sich die beiden Freunde zusammen mit einigen anderen Showbiz-Persönlichkeiten und ergehen sich zunächst in infantilen Spielchen. Mit der Zeit wächst jedoch die Anspannung, und die Neurosen der Stars sorgen für immer neue Auseinandersetzungen.

Sehenswert, weil… die von Seth Rogan und Evan Goldberg inszenierte Komödie beweist, dass der Untergang nicht zwangsläufig düster und bedrückend sein muss. Die Macher schrecken zwar vor keiner Geschmacklosigkeit zurück und drehen die Absurditätsschraube immer weiter. Der sich die Bälle gekonnt zuwerfende Cast hält der eitlen Hollywood-Industrie aber mit so viel Selbstironie den Spiegel vor, dass man immer wieder losprusten muss. Die Metascherze wirken keineswegs prätentiös. Vielmehr erweckt die häufig auf Improvisation setzende Sause den Eindruck, an einem feuchtfröhlichen Abend unter guten Freunden erdacht worden zu sein. Wenn das Ende schon bevorsteht, was gibt es dann Schöneres, als mit den Backstreet Boys im Himmel eine fette Party zu feiern?

Verfügbar auf Netflix

5 von 5 ★

Zur Filmkritik auf Cineman

5. «The Survivalist» (2015)

Darum geht’s: Nach dem dramatischen Einbrechen der weltweiten Erdölgewinnung geht es in einer nicht weit entfernten Zukunft mit der menschlichen Bevölkerung immer rasanter bergab. In dieser am Boden liegenden Welt hat sich ein namenloser Mann (Martin McCann) tief in den Wald zurückgezogen und kommt dort über die Runden, weil er mit einfachsten Mitteln ein kleines Feld bewirtschaftet. Als eines Tages eine alte Frau (Olwen Fouéré) und ihre Tochter (Mia Goth) vor der Tür stehen, lässt sich der Einsiedler dazu überreden, die beiden bei sich aufzunehmen. Trotz sexueller Annäherungen ist der Alltag jedoch von grossem Misstrauen geprägt.

Sehenswert, weil… Regiedebütant Stephen Fingleton aus seiner minimalistischen Geschichte ein Maximum an Atmosphäre herausholt und überzeugend demonstriert, dass es für einen packenden Endzeitfilm keine Effektsalven braucht. Prunkstück des Kammerspiels ist der präzise, uns mit dem einfachen Leben des Protagonisten vertraut machende Einstieg, bei dem rund eine Viertelstunde lang kein einziges Wort fällt. Die eindringliche, immer wieder ins animalische ausgreifende Performance von Hauptdarsteller Martin McCann tut ihr Übriges, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Verfügbar auf MUBI

Cineaman-User-Kritik: 4 von 5 ★

6. «The Girl with All the Gifts» (2016)

Darum geht’s: Ein Pilz verwandelt Menschen in rasende Bestien und hat zur Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung geführt. Auf einer Militärbasis in England experimentiert die Wissenschaftlerin Dr. Caldwell (Glenn Close) auf der Suche nach einem Heilmittel an Kindern, die zwar den Erreger in sich tragen, aber dennoch klar denken und die meiste Zeit ihre Impulse kontrollieren können. Als die bewachte Forschungsstation von Infizierten überrannt wird, ergreifen die zehnjährige Melanie (Sennia Nanua), ihre Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton), Caldwell und drei Soldaten gerade rechtzeitig die Flucht. Ihre Reise durch ein verheertes Land steht allerdings unter keinem guten Stern.

Sehenswert, weil… die Romanadaption das inzwischen überstrapazierte Zombiemotiv mit einer spannenden Coming-of-Age-Geschichte verbindet. «The Girl with All the Gifts» bedient sich klassischer Genreelemente und greift auf eine vertraute Ästhetik des Untergangs zurück, nimmt sich aber ebenso ausgiebig Zeit, um die Entwicklung der jungen Hauptfigur nachzuzeichnen und die Frage zu ergründen, wie weit man im Kampf gegen die seltsame Pilzkrankheit gehen darf. Das nachhallende Ende erschüttert und berührt gleichermassen, was man längst nicht vom jedem Endzeitfilm behaupten kann.

Verfügbar auf ProSieben FUN

Cineaman-User-Kritik: 4.3 von 5 ★

7. «It Comes at Night» (2017)

© IMDb

Darum geht’s: Ein nicht näher beschriebenes Virus hat zum Zusammenbruch der Zivilisation geführt und eine Familie, bestehend aus Vater Paul (Joel Edgerton), Mutter Sarah (Carmen Ejogo) und Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.), gezwungen, Zuflucht in einem einsam gelegenen Holzhaus im Wald zu suchen. Gerade erst musste Paul Sarahs erkrankten Vater Bud (David Pendleton) erschiessen, da steht auch schon die nächste Bedrohung vor der Tür. Mitten in der Nacht dringt Will (Christopher Abbott) in die Hütte ein und behauptet, als er überwältigt wird, dass er lediglich Nahrung und Wasser für seine Frau und sein Kind gesucht habe. Nur widerwillig schenkt Paul ihm Glauben und erklärt sich schliesslich bereit, gemeinsam mit Will den Rest seiner Familie zu holen.

Sehenswert, weil… der mit Horrormotiven versehene Survivalthriller bedrückend glaubhaft illustriert, wie misstrauisch und abweisend die Angst vor einer Ansteckung die Menschen macht. Ähnlich wie sein Kollege Stephen Fingleton in «The Survivalist» steckt Regisseur und Drehbuchautor Trey Edward Shults das Grauen in einem kleinen Rahmen ab und schafft es, auch dank guter Darstellerleistungen, eine knisternd-ungewisse Stimmung zu erzeugen. Einem Schlag in die Magengrube kommt das konsequente Finale gleich, das einen vielleicht auch Tage später noch verfolgt.

Verfügbar auf Primeo

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