Article28. März 2023

Festival International du Film de Fribourg 2023: Spannung und Drama aus allen Ecken der Welt

Festival International du Film de Fribourg 2023: Spannung und Drama aus allen Ecken der Welt
© Thomas Delley

Vom 17. bis 26. März 2023 fand die 37. Ausgabe des internationalen Filmfestivals Freiburgs statt. Wie gewohnt präsentierte es ein ansprechendes Programm, wovon eine Vielzahl der Beiträge zum ersten Mal in der Schweiz gezeigt wurden oder gar ihre Weltpremiere in Freiburg feierten. Ebenfalls traditionell ist die Vorliebe für das ostasiatische und osteuropäische Kino. Auch dieses Jahr hat das Festival ein Land ausgewählt, dem es seinen Schwerpunkt widmet: Aus Moldavien waren kurze wie lange Filme zu sehen. Als weiteres Sonderthema stand Kulinarik im Film auf dem Programm. Dabei zeigte das Festival eine Reihe von Werken, in denen Essen und Gastronomie eine wichtige Rolle spielen. Ergänzend dazu spannte es mit gastronomischen Betrieben in der Stadt zusammen, die das Erlebnis nach oder vor dem Filmeschauen erweiterten.

Artikel von Teresa Vena

Obwohl das Festival beendet ist, gibt es die Gelegenheit, einzelne Filme dieses Schwerpunktes noch auf Play Suisse nachzuschauen. Und vom 28. bis zum 30. April können in Bulle zehn Filme aus dem Programm der 37. Ausgabe neu- oder wiederentdeckt werden.

«Plan 75» - Gewinner Grand Prix: Ein würdiges Ende

Chie Hayakawa, Japan, 2022, 112 min.

© FIFF

In ihrem Regiedebüt verarbeitet die junge Japanerin Chie Hayakawa ein ernstes Thema. Wie einige andere Industriestaaten leidet auch Japan an einer zunehmenden Überalterung seiner Gesellschaft. Eine der Konsequenzen sind die steigenden Kosten für Sozialleistungen und Renten. Alte Menschen besetzen zudem Wohnraum, der in Japan Mangelware und daher sehr kostbar ist. Es sei tatsächlich eine feindselige Stimmung der jungen Generation gegenüber der älteren zu spüren, meinte Hayakawa im persönlichen Gespräch. Diese bildet die Basis für ihren Film. Inspiriert wurde sie für die Entwicklung ihrer Dystopie von einem realen Kriminalfall, in dem ein junger Mann mehrere Senioren tötete und seine Tat damit begründete, dass er dadurch der Gesellschaft Erleichterung verschaffen wollte.

Im Film geht es darum, eine Lösung für diese Gewalt und Frustration gegenüber Senioren zu finden. Der Staat entwickelt «Plan 75». Alle Menschen ab 75 dürfen kostenlose Sterbehilfe in Anspruch nehmen, die Einäscherung und Beerdigung in einem Massengrab ist inbegriffen, sie erhalten sogar eine Prämie. Rund um diese neue Einrichtung entstehen verschiedene Berufsfelder für Jüngere: Man muss die möglichen Kandidaten anwerben und schliesslich betreuen, sobald sie sich für das Programm eingeschrieben haben – denn sie haben natürlich das Recht, es sich selbst im letzten Moment noch anders zu überlegen, aber das sollte vermieden werden.

Die Regisseurin präsentiert diese etwas futuristische und unheimliche Idee auf derart trockene Weise, dass man nicht lange braucht, um sie als realistisch anzusehen. Überhaupt hat der Film an sich einen fast dokumentarischen Einschlag. Er ist einfühlsam und spiegelt Eigenheiten der japanischen Gesellschaft, wenn es beispielsweise um die Umgangsformen geht, wider, die einen faszinieren und gleichzeitig ziemlich wütend machen. Man hätte sich eine Straffung des Stoffes gewünscht, da sich ein paar Längen einstellen, und auch, dass am Schluss konsequenter auf den versöhnlichen Tonfall verzichtet worden wäre. Doch ingesamt vermag «Plan 75» zu berühren, regt zum Nachdenken an und verlangt, dass man sich mit den skizzierten gesellschaftlichen Problemen ernsthaft beschäftigt, denn sie gehen uns alle etwas an.

4 von 5 ★

«World War III» - Sonderpreis der Jury: Krieg spielen

Houman Seyedi, Iran, 2022, 107 min.

© FIFF

Ein Regisseur dreht einen historischen Film über den Zweiten Weltkrieg. Darin kommt Hitler vor und wie er Leute ermordet, die ihm nicht passen. Shakib (Mohsen Tanabandeh) hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Seine Frau und Kinder sind in seinem Heimatort an den Folgen eines Erdbebens gestorben, deswegen ist er in die Hauptstadt gezogen. Er ist ein Ausgestossener der Gesellschaft, genauso wie die gehörlose Prostituierte Nada (Neda Jebreili), mit der er sich eine mickrige Absteige teilt. Als er als Aushilfe für die Dreharbeiten eingesetzt wird, scheint es aufwärtszugehen. Dann kommt es noch besser – er wird zum Hauptdarsteller des Films und spielt Hitler. Er kann dadurch auch am Set schlafen, was weit bequemer ist als in seiner bisherigen Unterkunft – und schmuggelt Nada dazu. Dies wird ein Fehler sein, denn die Hütte wird im Laufe der Filmarbeiten in die Luft gesprengt. Nur weiss keiner, dass Nada sich darin versteckt. Shakib ist verzweifelt. Als man bei den Bergungsarbeiten keine Leiche findet, glaubt er, das Filmteam vertusche den Vorfall.

Houman Seyedis dem Realismus verpflichteten Drama war Irans Oscar-Einreichung für den besten ausländischen Film. Die Spannung baut sich langsam auf, bis zum unerwarteten Höhepunkt im letzten Drittel. Während zwischendurch anrührende Momente und auch durchaus einzelne humorvolle die ernste Stimmung durchbrechen, endet der Film unmissverständlich unversöhnlich. Das Melodrama versteht sich als Parabel auf das menschliche Dasein, in dem Aufstieg und Fall sehr nahe beieinander sind und Gut und Böse nicht immer präzise voneinander getrennt werden.

3 von 5 ★

«Emergency Declaration»: Notlandung verweigert!

Han Jae-rim, Südkorea, 2021, 140 min.

© FIFF

Der Flug von Korea nach Hawaii verläuft nicht wie geplant. Schon kurz nach dem Start klagen einige Passagiere über Atemnot, einige sterben schmerzvoll. Ein Mann (Kim Nam-gil) bekennt sich kurz darauf zum Terroristen. Er hat einen tödlichen Virus dabei, von dem er im grossen Stil Gebrauch machen will. Politische Forderungen hat er keine, er will möglichst viele Menschen in den Tod reissen. Panik macht sich im Flugzeug breit. Die Besatzung kündigt den Notstand an und die Piloten bitten bei den nächsten Flughäfen um eine Sonderlandegenehmigung – doch die wird ihnen verweigert. Sie versuchen es weiter, während ihnen langsam die Zeit davon läuft. In der Heimat hat in der Zwischenzeit die Regierung von der Situation erfahren. Doch sie tut sich schwer mit einer Entscheidung, auch sie will keine Notlandung, die die Gefahr birgt, dass das Virus sich unter der Bevölkerung verbreitet. Nach einer Lösung sucht auch ein Ermittler (Song Kang-ho), dessen Ehefrau und Tochter ebenfalls in diesem Flugzeug sind.

Spannend, richtig spannend, ist dieser Katastrophenfilm aus Südkorea. Er mischt bekannte Themen, tödliches Virus, Flugzeugabsturz, Terrorismus, zu einer eigenen neuen Interpretation, um die Panik seiner Protagonisten spürbar zu machen. Neben der Abenteuergeschichte selbst, die einen nach der Corona-Pandemie noch ein wenig anders aufrütteln wird, geht es im Film zum einen um universelle moralische Aspekte und zum anderen um eine Sozialkritik, die spezifisch auf Südkorea bezogen werden kann. Ob man das Leben von einer überschaubaren Anzahl Menschen opfern soll, um das einer Mehrheit zu retten, ist beispielsweise eine der aufgeworfenen Fragen. Was ist der Wert eines einzelnen Lebens? In einem Land wie Südkorea ist der Gedanke, dass das Kollektiv wichtiger ist als das Individuum, noch weit verbreitet. Das kommt auch im Film zum Tragen. Doch abgesehen von der inhaltlichen Relevanz des Stoffes, funktioniert der Film dank des schnellen Schnitts und hervorragenden schauspielerischen Leistung in erster Linie als Spannungsfilm, der auf ein Minimum an Spezialeffekten setzt.

4 von 5 ★

«Abang Adik»: Brüder fürs Leben

Jing On, Malaysia, 2023, 115 min.

© FIFF

Abang (Kang Ren Wu) und Adik (Jack Tan) sind Brüder, die seit ihrer frühen Kindheit illegal in Kuala Lumpur leben. Sie haben keine Eltern und schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Wie sie gibt es Tausende von Einwanderern, die alles versuchen, um an die nötigen Papier zu kommen, um Sozialleistungen zu erhalten, ein Bankkonto eröffnen zu können oder einfach eine Wohnung anzumieten. Adik ist der ungeduldigere der beiden Brüder. Er hat sich einen Ausweis gefälscht, den er immer wieder zückt, wenn die Polizei eine ihrer Razzien veranstaltet. Abang ist dabei nicht wohl, er möchte lieber rechtschaffen bleiben, doch das ist nicht einfach.

Die Beziehung zwischen den Brüdern beleuchtet der Film auf sensible und berührende Weise. Die beiden sind als interessante Charaktere gezeichnet, insbesondere der taubstumme Abang. Eindrücklich ist auch die Darstellung der prekären Lebensrealität von Migranten in Kuala Lumpur. Die Stadt wird als Sumpf von Korruption und Armut gezeigt. Doch Regisseur Jing On übertreibt es, mit der sentimentalen, pathosgeladenen Stimmung. Auch zieht sich die Handlung recht stark in die Länge, sodass die Spannung zwischenzeitlich verloren geht. Eine der wichtigsten Botschaften des Films ist, dass Familie nicht von der Voraussetzung ausgehen muss, dass man das gleiche Blut teilt. Man kann sich die Menschen, denen gegenüber man loyal sein will und die man liebt, auch selbst aussuchen.

3,5 von 5 ★

«Untold Herstory»: Der Kampf um die Freiheit

Zero Chou, Taiwan, 2022, 112 min.

© FIFF

Die Insel Ludao wurde zwischen den 1940er- und 1980er-Jahren als Gefängnis benutzt. Neben «gewöhnlichen» Gefangenen wurde es auch als Umerziehungslager für «subversive und staatsfeindliche» Individuen genutzt. Etwa 30 Kilometer von Taiwan entfernt müssen Männer und Frauen jeden Alters hart arbeiten, werden von den Wächtern diszipliniert und zu «Opfern» aufgefordert, die ihre Reue beweisen sollen. Dazu gehört es beispielsweise bei den Männern, sich mit staatstreuen Symbolen tätowieren zu lassen. Tattoos tragen aber nur Kriminelle und als solche sehen sich die Männer nicht, weswegen sie sich weigern. Die Frauen können sich weniger erfolgreich der Forderung nach sexuellen Diensten entgegensetzen. Der Film erzählt anhand von drei Frauen verschiedener Generationen, wie das Leben im Lager ausgesehen haben mag. Die eine ist eine Tänzerin, die andere die Ehefrau eines politischen Aktivisten und die dritte, die jüngste, eine begabte Zeichnerin.

Der Film versucht, einen unrühmlichen Teil der taiwanesisch-chinesischen Geschichte zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt stehen drei Frauenfiguren und ihr Schicksal. Die Ausstattung ist sorgfältig und üppig. Die Beziehungen zwischen den Protagonisten sind glaubwürdig gezeichnet und die Figuren von den Darstellern überzeugend gespielt. Das Melodrama ist sehr ernst und dramatisch. Es will auf den Machtmissbrauch der Zeit aufmerksam machen. Es hätte vielleicht eine etwas differenzierte Erzählung vertragen und eine bessere Kontextualisierung des Ganzen, um den Stoff ein wenig greifbarer zu machen.

3 von 5 ★

«El Castigo»

Matías Bize, Argentinien, 2022, 86 min.

© FIFF

Ana (Antonia Zegers) und ihr Mann Mateo (Néstor Cantillana) sind mit dem Auto auf dem Weg zu Anas Eltern. Sie streiten, Mateo verlangt von Ana, dass sie sofort wendet, was sie dann auch tut. Ein paar Minuten vorher hatten sie an einer Stelle im Wald ihren siebenjährigen Sohn aussteigen lassen und sind losgefahren. Was als Erziehungsmassnahme gelten sollte, läuft aber schief. Das Kind ist nirgends zu sehen. Die Eltern suchen eine Weile selbst, werden immer panischer und rufen schliesslich die Polizei. Dieser möchte Ana aber nicht sagen, dass sie das Kind für kurze Zeit alleine gelassen hatten. Sie hat Angst, als schlechte Mutter dazustehen. Während man nach dem Kind sucht, entfacht die Sorge darum zwischen dem Paar eine Grundsatzdiskussion über Erziehung, die Belastung des Elternseins und Ana fühlt sich erstmals in der Lage, offen mit ihrer Rolle als Mutter umzugehen.

Die Stärke des Films ist die Konzentration von Raum und Zeit. Geschickt gelingt es dem argentinischen Regisseur Matías Bize ein Gefühl der Enge und Panik zu erzeugen. Sein Film ist ein moderner Thriller, aber auch ein Kommentar über aktuelle soziale Themen. Im Zentrum steht vor allem die Vorstellung, dass Frauen auf natürliche Weise in die Mutterrolle finden würden. Es ist ein Tabu, das Gegenteil zu behaupten. Auch wirft «El Castigo» Fragen nach erlaubten und geeigneten Erziehungsmethoden auf.

3 von 5 ★

«Recipe for Farewell»: Koch für die Seele

Lee Ho-jae, Südkorea, 2022, 129 min.

© FIFF

Chang-wook (Han Suk-kyu) ist Autor und Literaturprofessor. Von seiner Frau (Kim Seo-hyung) hat er sich vor ein paar Jahren getrennt. Als ihm diese eröffnet, dass sie unheilbar krank ist und ihn bittet, sich um sie zu kümmern, indem er für sie kocht, zögert er nicht lange und sagt zu. Der gemeinsame Sohn (Jin Ho-Eun) ist misstrauisch, er weiss nichts von der Krankheit der Mutter. Vom Vater hat er sich entfremdet. Chang-wook wächst in der Küche täglich über sich hinaus. Er kocht ein traditionelles Gericht nach dem anderen, lernt fleissig Rezepte und tauscht sich online darüber aus. Nach und nach findet die kleine Familie übers Essen wieder näher zueinander.

Es ist eine anrührende Geschichte, die Regisseur Lee Ho-jae hier erzählt. Es geht um Familie, Loyalität und Trauer. Die Darsteller sind allesamt souverän, doch die ziemlich dünne Handlung wird künstlich in die Länge gezogen. Sicherlich lernt man einiges über die koreanische Kulinarik kennen, das nicht weit über die üblichen bekannten Gerichte hinausgeht, doch dafür muss man eine arge Sentimentalität in Kauf nehmen. Der Film ist sowohl eine Hommage an traditionelles Essen als auch ein Versuch der Trauerbewältigung. Die Dialoge und inneren Monologe der Hauptfigur sind aber zu banal und gleichzeitig unglaubwürdig symbolgeladen. An inhaltlicher oder formaler Spannung fehlt es fast gänzlich.

3 von 5 ★

Is this article worth reading?


Comments 0

You have to sign in to submit comments.

Login & Signup