Interview1. April 2019

«Weil du nur einmal lebst»: Campino und Cordula Kablitz-Post über Fussball, Lieblingsserien und das Erfolgsgeheimnis der Band

«Weil du nur einmal lebst»: Campino und Cordula Kablitz-Post über Fussball, Lieblingsserien und das Erfolgsgeheimnis der Band
© Berlinale 2019

Mit der Doku «Weil du nur einmal lebst» setzt Regisseurin Cordula Kablitz-Post der deutschen Punk-Band Die Toten Hosen ein filmisches Denkmal. Im Interview spricht sie zusammen mit dem Frontmann der Band über die Parallelen zum Fussball und das Erfolgsgeheimnis der Band – und Campino verrät, bei welchen Filmen und Serien er selbst hängen bleibt.

Wieso noch ein Konzertfilm über die Toten Hosen?

Cordula Kablitz-Post: Erstmal ist es kein Konzertfilm, sondern ein Dokumentarfilm. Mit hohem Konzertanteil, das stimmt. Es ist in erster Linie aber ein Film über eine Tour, die die Toten Hosen portraitiert und zeigt, wie die Band funktioniert und wie die Chemie zwischen den einzelnen Bandmitgliedern ist.

Campino: Bei solchen Filmen ist es immer spannend, dass es sich um eine Momentaufnahme, eine Phase handelt. Ich glaube nicht, dass du es mit dem vergleichen kannst, was vor 20 oder 30 Jahren war. Das sind einfach andere Beobachtungen, und für die Band ist das eher wie mit Urlaubsfotos: Wenn man die macht, ist man total genervt, aber wenn die Ferien vorüber sind, schaut man sich das gerne an. Aus einem ähnlichen Grund haben wir zugesagt, als Cordula frage, ob sie einen Film über uns machen kann – und in 5 Jahren kann das höchstens schlechter aussehen.

Selbst bei einer Dokumentation über Helene Fischer würde ich hängenbleiben.– Campino

Campino, hast du was gelernt über dich oder die Band, als du den fertigen Film gesehen hast?

Campino: Über mich selbst? Ich muss mich 24 Stunden am Tag aushalten, deshalb weiss ich nicht, ob ich Aspekte entdeckt habe, die mir selbst entgangen wären. Aber viel gelernt habe ich natürlich über die Kollegen. Wir haben untereinander ein ganz klares Rollenverhalten, zum Beispiel, wenn es darum geht, wer in Interviews am schnellsten vorprescht. Wenn wir als Band irgendwo sitzen, dann wirst du selten erleben, dass Kuddel überhaupt versucht, etwas zu sagen. Weil er denkt „Das machen eh Breiti, Andi und Campi“. Dabei ist es sehr interessant, was Kuddel zu sagen hat – und wenn er alleine in einem Raum Cordula gegenübersteht, bringt der schon tolle Sachen.

Die Toten Hosen zusammen mit der Regisseurin Cordula Kablitz-Post an der Berlinale 2019.

Wenn das keine engen Freunde wären, gäbe es die Band wahrscheinlich nicht mehr.– Cordula Kablitz-Post

Wie habt ihr abgesteckt, wo die Grenze zum Privaten liegt?

Cordula Kablitz-Post: Die Grenzen sind da, wo es um die Familie der Band geht. Da war ganz klar, dass wir das nicht zeigen.

Campino: Es wurde auch respektiert, wenn jemand nicht in der Produktion nicht vorkommen wollte. Dann haben wir geschaut, dass die Personen nicht im Bild sind. Sonst macht man unnötig ein Fass auf, das lenkt auch vom wesentlichen Fokus ab, dem Alltag einer Rockband auf Tournee. Ich hoffe, dass auch Leute etwas mit dem Film anfangen können, die die Toten Hosen und deren Musik nicht so schätzen.

Als Fan von Popkultur schaue ich mir gerne alle möglichen Musikfilme an, ich liebe zum Beispiel den Streifen über Tom Petty, würde mir aber auch anschauen, wie es bei DJ Bobo auf Tour war: Wie hat er das mit der Crew geregelt, wie geht das da mit dem Catering. Ich glaube, selbst bei einer Dokumentation über Helene Fischer würde ich hängenbleiben, einfach weil mich ihre Herangehensweise interessiert. Vielleicht kann man gerade über so einen Film Vorurteile abbauen: Ich würde eventuell erkennen, dass sie genauso, vielleicht sogar doppelt so hart an dem arbeitet, was sie da veranstaltet. Ich denke, dass solche Dokus auch immer die Chance beinhalten, eine Sache aus einem neuen Winkel zu betrachten.

Cordula, du warst über eine lange Zeit sehr nahe dran an der Band. Bist du dem Erfolgsrezept der Toten Hosen auf die Spur gekommen?

Cordula Kablitz-Post: Das Erfolgsrezept ist ihre Freundschaft. Wenn das keine engen Freunde wären, und diese Aufgabenverteilung innerhalb der Band – wer welche Stärke hat – nicht schon lange stattgefunden hätte und da nicht jeder damit zufrieden wäre, dann gäbe es die Band wahrscheinlich nicht mehr.

Seit 37 Jahren machen die Toten Hosen zusammen Musik, die Doku zeigt nun ihren Tour-Alltag.© Filmcoopi

Im Film sieht man die schöne Szene, in der ihr euch auf den Rücken klopft. Wie wichtig sind Rituale für euch?

Campino: Ich mag das Ritual, sich vorher zu sammeln. Mittlerweile ist es so, dass wir uns unwohl fühlen würden, wenn es das nicht gäbe. Ohne würde uns so vorkommen, als ginge es gar nicht um ein richtiges Konzert. Es ist ein Zusammenkommen, und meistens sind die Sprüche recht locker, um sich kopfmässig frei zu machen und tatsächlich dem einen oder anderen zu sagen: „Lass deine Sorgen in der Garderobe, geh mal raus und lach, auch wenn dir nicht danach zumute ist. Wenn Fortuna zum Beispiel verloren hat." (Lacht).

Ich glaube, generell sind wir näher an Sportlern als an Künstlern oder Musikern.– Campino

Stammt das aus der Kabine von Fortuna Düsseldorf?

Campino: Es hagelt bei uns natürlich Vergleiche zur Fussballwelt. Die kriegen wir auch aus der Band nicht wieder raus. Für mich persönlich ist es eine grosse Erleichterung, eine Tournee wie die Saison einer Mannschaft zu sehen, und jedes Konzert ist ein Spiel. Dann drängen sich solche Sprüche natürlich ganz von selbst auf: „Es gibt keine kleinen Gegner mehr, man muss auch in Heilbronn alles geben."

Cordula Kablitz-Post: Oder von Breiti wurde mir auch erklärt, wie er sich vor dem Konzert warm spielt. Da hast du auch diesen Sportvergleich: Das Warmspielen, bevor der Gegner dir in die Beine grätscht. Das fand ich lustig.

Die Parallelen zum Sport sind bei den Toten Hosen unvermeidlich.
Die Parallelen zum Sport sind bei den Toten Hosen unvermeidlich. © Filmcoopi

Campino: Ich glaube, generell sind wir näher an Sportlern als an Künstlern. Erstens sind wir eher etwas simpler gestrickt, zweitens wissen wir nicht wirklich, was hohe Kunst sein soll. Bei diesem Körperlichen haben wir aber schon einen Ehrgeiz – und beim Fussball waren wir auch immer gut.

Ihr habt für den Film den Titel «Weil du nur einmal lebst» gewählt. Campino, hattest du nicht manchmal das Gefühl, mehrere Leben gehabt zu haben?

Campino: Eigentlich eine ganz gute Herangehensweise an die Frage. Je älter wir werden, desto bewusster ist uns, dass wir nur dieses eine Leben haben. Wenn man das mit einem Stück Kuchen vergleicht, haben wir eine ganze Menge davon auch schon verputzt. Jetzt, wo die Stücke auf dem Teller weniger werden, fangen wir an, vorsichtiger zu essen und jeden Bissen richtig zu geniessen.

«Weil du nur einmal lebst» wagt auch den Blick hinter die Kulissen.
«Weil du nur einmal lebst» wagt auch den Blick hinter die Kulissen. © Filmcoopi

Ein bisschen lebhafter als Freddie Mercury fühle ich mich zurzeit schon noch.– Campino

Die Schweiz findet auch ihren Platz im Film. Gibt es Freundschaften, die sich über die Jahre entwickelt haben?

Campino: Wir haben in der Schweiz über die Jahre ganz viele Freunde gewonnen. So sind wir zum Beispiel regelmässig in Davos, wo wir mit den Leuten von der Bergwacht befreundet sind, die uns immer eine Zeitstrecke aufstellen, damit wir unsere Rennen machen können. Wir kriegen das wie bei Profiwettkämpfen elektronisch ausgedruckt, wer Erster war und wer Letzter. Wenn wir da hinkommen, fühlen wir uns unglaublich wohl, weil die Menschen uns gerne dahaben. Bei der Entscheidung, wo für den Film gedreht werden sollte, war klar, dass wir die Schweiz unbedingt mit drin haben wollten.

In letzter Zeit gab es nach Filmen wie «Bohemian Rhapsody» einen Hype um Biopics. Wäre das ein Thema für euch?

Campino: Ein bisschen lebendiger als Freddie Mercury fühle ich mich zurzeit schon noch (lacht). Aber er ist auf jeden Fall toll dargestellt, ich habe mir den Film natürlich auch angeschaut. «Bohemian Rhapsody» hat mir viel Spass gemacht, eventuell auch, weil ich kein ausgewiesener Queen-Fan bin, da nimmt man es nicht so genau mit der Biografie. Als Kenner wäre ich über jeden Zentimeter, der nicht richtig dargestellt ist, stinksauer. Wenn zum Beispiel ein Film über die Sex Pistols rauskäme, würde ich den Leuten ganz anders auf die Finger gucken. Als Entertainment gefällt mit der Streifen aber sehr, und ich finde es überraschend und schön, dass ein Film über eine Band solche Zuschauerzahlen hat.

Könnte sich ein Biopic über die Toten Hosen nicht vorstellen: Campino auf der Bühne.
Könnte sich ein Biopic über die Toten Hosen nicht vorstellen: Campino auf der Bühne. © Filmcoopi

Über euch könntest du dir das vorstellen?

Campino: Aktuell auf keinen Fall. Aber wer weiss, was die Zeit bringt. Das Problem ist, dass einem die Erinnerung einen Streich spielt: Da ist immer alles viel schöner. Sie könnten sich in 20 Jahren den bestaussehendsten Mann holen, und ich würde vielleicht sagen: „Aber ich sah lange nicht so scheisse aus."

Campino, dein Musikgeschmack ist, wie man lesen kann, zum Teil eher unerwartet. Gilt das auch für Filme?

Campino: Ich gucke unheimlich gerne Filme und habe auch ein paar Netflix-Serien für mich entdeckt. Das Niveau von Serien hat sich in den letzten 10 Jahren unglaublich verändert. Viele Regisseure und Leute, die qualitativ wertvoll arbeiten, haben sich dazu entschlossen, auch dieses Format zu bedienen und es in seiner Kunst ganz anders zu bewerten als früher. Davon bin ich grosser Fan und habe zum Beispiel die «Narcos»-Serie geliebt. Allerdings musste ich immer heulen, wenn die angefangen haben, die Koksberge zu verbrennen – das ist noch ein Relikt aus meiner Jugend, das werde ich sicherlich eines Tages auch noch los.

Es gibt aber auch eine gute Vietnam-Dokumentation, die viele Hintergrundinformationen bietet – bei Historiengeschichten bleibe ich immer hängen. Weltkriegsdokumentationen zum Beispiel, da bin ich mittlerweile wie mein Grossvater. Ich lese aber auch gerne Bücher und tauche generell einfach gerne in Geschichte ein. Ins Theater gehe ich zum Beispiel viel zu selten, aber unheimlich gerne. Das kann ich nur jedem empfehlen: Es gibt Theaterstücke, da vergisst du, wo du bist. Dann geht es erst richtig los!

«Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour» läuft ab dem 28. März in den Deutschweizer Kinos.

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