Kritik19. Oktober 2020

«The Assistant» Filmkritik: Ein Arbeitstag wie jeder andere

«The Assistant» Filmkritik: Ein Arbeitstag wie jeder andere
© Elite

Anhand des Arbeitstags einer jungen Assistentin im Büro eines mächtigen Filmproduzenten skizziert Kitty Green gut durchdacht, unaufgeregt und eindringlich, wie systematischer Machtmissbrauch am Arbeitsplatz vonstatten geht.

Filmkritik von Irina Blum

Jane arbeitet seit knapp zwei Monaten als Assistentin eines bekannten Filmproduzenten. Im Büro ist sie als Mädchen für alles die erste, die kommt und die letzte, die geht – und bekommt dadurch auch einiges mit. Zum Beispiel, wie die Frau des Chefs verzweifelt anruft, um nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes zu fragen. Oder wie ihr Vorgesetzter junge Mädchen für ein Vorstellungsgespräch in Hotel-Suiten einlädt. Kitty Green inszeniert mit «The Assistant» einen unaufgeregten, nüchternen und gut durchdachten Film zum Thema Machtmissbrauch, der seine wichtige Botschaft damit noch eindringlicher macht.

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Jane (sehr stark: «Ozark»-Star Julia Garner) hat es geschafft. Nach einem erfolgreichen College-Abschluss hat die aspirierende Filmemacherin einen begehrten Job als Assistentin eines mächtigen Filmproduzenten ergattert. Für diesen arbeitet sie nun seit einigen Wochen unermüdlich, macht literweise Kaffee, kopiert Verträge, betreut Gäste und nimmt Anrufe entgegen. So unermüdlich, dass sie sogar den Geburtstag ihres Vaters vergisst. Als Mädchen für alles ist sie im Büro die erste, die kommt und die letzte, die geht – und bekommt dadurch auch einiges mit. Zum Beispiel, wie die Frau des Chefs verzweifelt anruft, um nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes zu fragen. Oder wie ihr Vorgesetzter junge Mädchen für Vorstellungsgespräche in Hotel-Suiten einlädt. Und langsam aber sicher ist die gewissenhafte junge Frau nicht mehr bereit, über ihren schrecklichen Verdacht einfach Stillschweigen zu bewahren.

Gut durchdacht und clever musikalisch unterlegt.– Cineman-Filmkritikerin Irina Blum

Als Zuschauer taucht man anhand von Janes Arbeitstag ein in ein fest zementiertes System, das weder transparent noch gerecht ist. Janes Arbeitskollegen, beide männlich und schon länger in der Firma, treten die delikaten Angelegenheiten an sie ab und raten ihr, den Kopf tief zu halten und einfach wegzuschauen. Die weiblichen Angestellten beraten darüber, wie sie am einfachsten die Abteilung wechseln können, und der HR-Chef gibt Jane zu bedenken, sie wolle sich doch nicht schon zu Beginn ihre Karriere verbauen, als diese mit ihrem Verdacht bei ihm vorstellig wird.

Während knapp 90 Minuten zeigt Regisseurin und Drehbuchautorin Kitty Green sehr unaufgeregt und subtil, wie ein solch systematischer Machtmissbrauch vonstatten gehen kann. Unaufgeregt, weil Green keineswegs dramatisiert – in sanfte Farben gepackt dokumentiert sie nüchtern und kammerspielartig den Arbeitstag im Büro, macht Anspielungen, lässt leise unterschwelligen Sexismus in die Dialoge miteinfliessen. Subtil, weil wir den vermeintlichen Tätet nie zu Gesicht bekommen, einzig seine Stimme prägt sich einem ein, als er Jane am Telefon zurechtstaucht. Und auch ein Name fällt nie, obwohl man schon nach den ersten Szenen unweigerlich an einen Filmmogul wie Harvey Weinstein denken muss.

Aus seiner zurückhaltenden Art zieht «The Assistant» dann auch seine Kraft: Ohne zu dramatisieren oder das Drama dem Spannungsbogen zuliebe in einen Thriller zu verwandeln, macht sie Machtgefälle im Arbeitskontext zum Thema. Gut durchdacht und clever musikalisch unterlegt (Musik: Tamar-kali) verleiht sie dem Film dadurch eine enorme Dringlichkeit, aber auch eine gewisse universelle Note. Denn was auf den Weinstein-Skandal folgte hat längst gezeigt, dass das Filmbusiness nicht die einzige Branche ist, wo von zahlreichen Zeugen stillgeschwiegen wurde, was längst an die Öffentlichkeit hätte gelangen sollen.

4 von 5 ★

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