Kritik22. Juli 2020

Serientipp «Sløborn»: Ein tödliches Virus zwischen Realität und Fiktion

Serientipp «Sløborn»: Ein tödliches Virus zwischen Realität und Fiktion

Als Christian Alvart die Idee zur achtteiligen Serie Sløborn hatte, da war die Welt noch in Ordnung. Weit von dem entfernt, was er sich ausgemalt hatte. Weniger als ein Jahr, nachdem die Dreharbeiten begonnen haben, hat die Realität die Fiktion eingeholt – nur, dass das Virus, das uns heimsucht, nicht so tödlich ist wie das in «Sløborn».

Serienkritik von Peter Osteried

Sløborn ist eine kleine verschlafene Insel in der Nordsee, in der alles seinen geregelten Gang geht. Die 15-jährige Evelin hat eine Affäre mit ihrem Lehrer und möchte am liebsten weg von der Insel, ihre Eltern trennen sich, der Ex-Knacki Magnus hat ein Resozialisierungsproramm für straffällige Teenager gestartet, und der Schriftsteller Nikolai Wagner kommt zu einer Lesung, hat aber mehr Probleme mit seiner Drogensucht. Dann strandet vor der Insel eine Yacht, in die ein paar Jugendliche eindringen, um zu klauen. Sie finden Leichen, sie geraten in Panik, sie laufen weg – und tragen das Virus, mit dem sie sich hier infiziert haben, in ihre Gemeinde.

© Netflix

Es ist erschreckend, sich «Sløborn» anzusehen.– Cineman-Kritiker Peter Osteried

Alvart, der alle Drehbücher zusammen mit Kollegen geschrieben und vier der acht Episoden inszeniert hat, setzt auf die ganz grosse Geschichte. Man kann sich gut vorstellen, dass es Anfang 2019 schwer gewesen sein dürfte, das ZDF von diesem spekulativen Format zu überzeugen. Wie sich jetzt zeigt: So spekulativ ist es gar nicht. Im Gegenteil, was Alvart hier entwirft, ist über weite Strecken extrem akkurat.

In den ersten beiden Folgen passiert noch nicht viel. Man hört von einer Taubengrippe, die wohl aus China kommt und in Südamerika für Chaos sorgt, aber noch macht sich niemand Sorgen. Die Krankheit ist ja weit weg, mit der Taubengrippe wird es sich nicht anders verhalten wie mit der Vogel- oder Schweinegrippe. So oder ähnlich dachten im März auch noch die meisten Menschen hierzulande. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, die Gefahr, die am Horizont dräut, die aber noch niemand wahrnimmt. Oder wahrnehmen will. In den nächsten beiden Folgen spitzt sich die Lage dann zu. Die Krankheit zeigt ihr Gesicht. Man reagiert. Masken werden aufgesetzt, Abstandsregeln aufgestellt. Und dann heisst es „Landunter“, als das Virus mit voller Wucht zuschlägt.

© Netflix

Alvart muss zum Ende hin überspitzen. Er erzählt von einem Virus mit einer enorm hohen Sterblichkeit – dieses Virus ist eher Ebola als Covid-19. Entsprechend eskaliert die Situation aber auch mehr. Die letzten beiden Folgen der Serie sind klar dem Science Fiction zuzuordnen – weil unsere Lage eine andere ist und nicht neun von zehn Menschen durch die Krankheit vom Tod bedroht sind. Man kann sich aber durchaus vorstellen, dass die Massnahmen in der realen Welt denen der fiktiven in einer derartigen Situation nahekommen würden.

Die Serie ist grosses Event-Kino mit Gänsehaut-Effekt.– Cineman-Kritiker Peter Osteried

Es ist erschreckend, sich «Sløborn» anzusehen. Weil alles so real wirkt. Immer wieder streut Alvart kurze Auszüge aus Nachrichtensendungen ein. Sie verdeutlichen, wie sehr sich der Künstler Gedanken darüber gemacht hat, wie das Land auf eine Pandemie reagieren würde. Maskenpflicht, Abstandsregeln, Verbote von Massenversammlungen – das alles ist hier dabei. Ebenso wie Verschwörungstheorien, Widerstand gegen die Massnahmen, der wirtschaftliche Einbruch. Alvart packt in seine Geschichte alles, was seine Zuschauer seit knapp einem halben Jahr selbst kennen. Das macht die Serie ausgesprochen prägnant. Damit konnte Alvart nicht rechnen, aber seine Serie, die als Form spekulativer Fiktion begann, trieft nun schier vor lauter Aktualität.

Sie ist eindrucksvoll, weil sie so exakt vorhersagt, wie das Land, wie die Welt auf eine solche Pandemie reagiert, wie die Lage anhand neuer Erkenntnisse immer wieder neu bewertet werden muss, wie aus Gleichgültigkeit Besorgnis und dann Panik wird. Und wie die Situation eskaliert. Da geht «Sløborn» darüber hinaus, was der Zuschauer erlebt – es jagt einem aber einen Schauer über den Rücken wenn man sieht, wie es auch hätte kommen können. Das macht «Sløborn» zum grossen Event-Fernsehen, das von ZDFneo am 23. und 24. Juli mit jeweils vier Folgen ausgestrahlt wird. Dann kann man sich selbst überzeugen, wie sehr die Fiktion die Realität antizipiert hat. Nur in einer Beziehung lag Alvart wirklich daneben. Man sieht in «Sløborn» niemanden Klopapier horten.

4.5 von 5 ★

Die acht Folgen von «Sloborn» sind am Donnerstag, 23. Juli sowie am Freitag, 24. Juli auf ZDFneo zu sehen.

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