Interview10. Juli 2019

«Photograph»: Regisseur Ritesh Batra über Bollywood, Intuition und Indien als Drehort

«Photograph»: Regisseur Ritesh Batra über Bollywood, Intuition und Indien als Drehort
© Filmcoopi

Mit «The Lunchbox» lieferte er 2013 eine aussergewöhnliche indische Liebesgeschichte. «Photograph» dürfte nun erneut die Herzen eines internationalen Publikums berühren. Im Interview spricht Regisseur Ritesh Batra über Indien als Drehort, Bollywood und die Rolle der Intuition beim Filmemachen.

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Hat sich Indien nach zwei sehr grossen, internationalen Filmen und ihrer Rückkehr in das Land anders angefühlt?

Nahezu die gesamte Crew, die an «The Lunchbox» gearbeitet hat, ist nun auch an den Arbeiten zu «Photograph» involviert gewesen. Es war wie eine grosse Reunion. Unterdessen gestaltet es sich jedoch deutlich schwieriger, hier zu drehen – weil es sehr überfüllt und dadurch schwieriger ist, von A nach B zu gelangen.

Letzten Endes geht es eher darum, was man nicht zeigen will.– Ritesh Batra

Während wir für «The Lunchbox» gedreht haben, war es uns möglich, an bestimmten Locations zu filmen und zugleich noch in andere Teile der Stadt zu gehen und dort weitere Aufnahmen zu machen. Das ist heute nicht mehr möglich.

In Mumbai fotografiert Rafi Touristen und verkauft ihnen die Fotos – doch bei Miloni macht er eine Ausnahme... © Filmcoopi

Die Geschäftigkeit der Stadt, der Verkehr und all die Menschen sind auch Teil des Films. War es ihnen wichtig, dies zu zeigen – und wenn auch nur im Hintergrund?

Ja. All diese Geschichten könnten sich ausschliesslich in Mumbai ereignen. Während ich dort filmte, habe ich die Erfahrung gemacht, dass die grössten Entscheidungen darin bestehen, zu bestimmen, was man nicht zeigen will.

Es gibt so vieles zu entdecken: Zahlreiche Farben und Dinge, welche sich ereignen. Letzten Endes geht es also wirklich eher darum, was man nicht zeigen will.

Miloni lässt sich auf eine Scheinehe ein, um Rafis Grossmutter zu besänftigen. © Filmcoopi

Das Ende des Films ist sehr melancholisch. Denken Sie, dass es keinen sozialen oder kulturellen Wandel geben kann?

Ich weiss es nicht – das ist eine gute Frage. Wenn du versuchst, Leuten etwas durch Filme vorzuschreiben, dann machst du einen schlechten Film. Wenn du stattdessen aber Fragen stellst, dann hast du die Chance, etwas Gutes zu erreichen.

Es entstehen etwa 900 Bollywood-Filme pro Jahr– Ritesh Batra

Wie wird Bollywood in Indien wahrgenommen?

Bollywood ist solch eine überwältigende Kraft in Indien, eine sehr grosse Industrie und ein Teil vom Leben aller. Die Musik ist ein grosser Teil der Kultur. Lieder und Hochzeiten werden von Bollywoodfilmen inspiriert, und es entstehen etwa 900 Filme pro Jahr. Ich selbst bin mit Bollywood-Filmen aufgewachsen.

Ritesh Batra (links) und Oscarpreisträger Jim Broadbent, der in Batras «A Sense of an Ending» die Hauptrolle einnimmt. © CBS Films

Die Figuren scheinen beide in der Welt des jeweils anderen leben zu wollen. Er wünscht sich die Sicherheit, in der sie aufgewachsen ist, und sie wünscht sich irgendwann die Einfachheit des Dorflebens. War es ihnen wichtig, diese Balance darzustellen?

Nein, ich denke nicht. Diese Balance ist schlicht der Lauf ihrer Beziehung. Als ich an dem Film arbeitete, ging es mir immer um die Winkel des Herzens, die uns nicht bekannt sind – bis wir auf eine andere Person treffen. Es ging also darum, was diese Menschen aufgrund der Zeit, die sie miteinander verbringen, über sich selbst lernen. Aber die andere Interpretation ist ebenfalls korrekt: Er möchte tatsächlich Sicherheit und sie wünscht sich ein einfacheres Leben – oder zumindest das, was sie dafür hält.

Man muss seiner Intuition vertrauen.– Ritesh Batra

Was hat ihnen Inspiration für diese beiden Figuren geliefert?

Da steckt eine Menge Fiktion dahinter. Aber das soziale Milieu, in dem sich die Figuren bewegen, habe ich aus erster Hand erlebt.

Die Hauptfigur in «Photograph» ist sehr introvertiert. In vielen Sequenzen des Films gibt es zudem keinen Dialog. War es für Sie als Regisseur aufregend, Lücken ohne Dialog zu füllen?

Ja, es war sehr aufregend, diesen Szenen Leben einzuhauchen, denn wir mussten jede Sequenz auf eine unterschiedliche Art und Weise angehen. In zahlreichen Szenen, in welchen beide Hauptfiguren vorkommen, gibt es viele sprechende Nebenfiguren, doch in einem Film wie diesem, in dem der Fokus auf zwei Figuren zu liegen hat, kann das schnell überfüllt wirken.

Für Miloni ist ein ganz bestimmter Lebensplan vorgesehen. © Filmcoopi

Was das Filmemachen anbelangt, scheinen Sie sehr intuitiv zu sein. Woher wissen sie, ob der gefilmte Take tatsächlich der perfekte ist?

Das ist eine sehr gute Frage. Man muss seiner Intuition vertrauen, denn wenn man beispielsweise eine witzige Szene aufnimmt, dabei aber nicht bereits auf dem Set lacht, ist es unmöglich, dass diese Szene im finalen Film funktioniert. Mit Nachbearbeitung kann man sie nicht nachträglich lustig machen.

Das Arbeiten an Filmen ist auf jeden Fall eine sehr intuitive Sache. Jeder orientiert sich an der Intuition – denn sie ist das Einzige, worauf du dich verlassen kannst, wenn du zum Beispiel ein Drehbuch auswählen musst, oder wenn du dich auf dem Filmset befindest. Mit der Zeit lernt man, sich auf die eigene Intuition zu verlassen.

«Photograph» läuft ab dem 11. Juli in den Deutschschweizer Kinos.

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