Kritik17. Oktober 2018

Netflix-Tipp: «Private Life» ist authentisch, witzig und feinfühlig

Netflix-Tipp: «Private Life» ist authentisch, witzig und feinfühlig
© Netflix

Dass der Streaming-Gigant Netflix nicht einfach eine Müllhalde für Filme ist, die es nicht ins Kino geschafft haben, zeigt zum Beispiel die Tragikomödie «Private Life», die mit schwarzem Humor, bitterernst und äusserst feinfühlig davon erzählt, wenn der Traum vom eigenen Kind vor lauter Hormonspritzen und Arztbehandlungen zum Albtraum wird.

Eins + Eins = Drei

Der Theaterintendant Richard (Paul Giamatti) und die Schriftstellerin Rachel (Kathryn Hahn) haben ein Problem: Zwar sind sie mit ihrem nicht ganz perfekten, aber beschaulichen Leben inmitten von Manhattan in ihrer gemütlichen, mit Büchern vollgestopften Wohnung ganz zufrieden – wäre da nicht der Babywunsch, der das Eheleben der beiden Mittvierziger belasten würden. Verzweifelt schleppen sie sich von Arzttermin zu Arzttermin, nehmen Kredite auf, spritzen sich Hormone, bewerben sich bei Adoptionsagenturen, um dann vielleicht irgendwann ihren Traum vom eigenen Kind erfüllen zu können.

Mit der Zeit belastet der innige Wunsch nach einem Baby nicht nur ihr Bankkonto, sondern auch ihre Beziehung. Nach einem weiteren Rückschlag erscheint es deshalb als ein Wink des Schicksals, dass Richards Nichte Sadie (Kayli Carter) plötzlich bei dem Paar auf der Matte steht: Sie hat ihr Studium abgebrochen, erfährt zu Hause zu wenig Unterstützung und kommt deshalb bis auf Weiteres in Richards und Rachels Wohnung unter. Diese bringt nicht nur neuen Schwung in ihren vom Unbedingt-Ein-Baby-Kriegen geprägten Alltag, sondern kommt auch schnell als Eizellenspenderin in Frage...

Wünschen sich nichts mehr, als ein eigenes Kind: Richard und Rachel.
Wünschen sich nichts mehr, als ein eigenes Kind: Richard und Rachel. © Netflix

Schwere Thematik, schwarzer Humor

Regisseurin Tamara Jenkins greift mit «Private Life» ein äusserst privates Thema auf: Dinge wie In-Vitro-Fertilisation, Adoption oder Eizellenspende sind wohl Dinge, die man nicht gleich in einem Small-Talk-Gespräch anspricht. Auch sonst ist das Thema des unerfüllten Kinderwunsches bisher nicht häufig auf Leinwand gebannt geworden – ähnliche Streifen konzentrieren sich eher auf das ungewollte Kindergriegen («Juno») respektive darauf, wenn sich das Dasein als Mutter nicht als rosarote Zuckerwatte entpuppt («Tully»). Jenkins nimmt der doch eher schwerwiegenden Thematik die Schwere, indem sie ganz viel schwarzen Humor in die Tragikomödie einfliessen lässt – wenn zum Beispiel Sadie gefragt wird, wie es denn mit ihren Eiern aussehe, und diese antwortet, Rührei sei ihr am liebsten.

Nichtsdestotrotz ist «Private Life» nicht eine weitere Komödie, die sich dem Thema Kinderkriegen annimmt, um dann 90 Minuten durchaus unterhaltsame, aber schlussendlich auch ziemlich oberflächliche Unterhaltung daraus zu machen. Der Film hat nämlich auch eine bittersüsse Note, die mit den postkartenähnlichen, leicht vergilbten Aufnahmen noch mehr zum Tragen kommen: Man hat nie das Gefühl, dass er seine Figuren und dessen Begehren nicht ernst nehmen würde.

Sadie bringt neuen Schwung in den vom Unbedingt-Ein-Kind-Kriegen geprägten Alltag des Paares.
Sadie bringt neuen Schwung in den vom Unbedingt-Ein-Kind-Kriegen geprägten Alltag des Paares.

Über die Babyblase hinaus

Dass die Figuren in «Private Life» sehr authentisch wirken, ist zwei Umständen zu verdanken: Zum einen haben Paul Giamatti und Kathryn Hahn («Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück») zusammen mit Kayli Carter eine unglaublich gute Chemie, zum anderen ist das Drehbuch so gestaltet, dass die Charaktere wie aus dem Leben gegriffen wirken. Da ist eine Studienabbrecherin, die mit 25 nicht weiss, wo sie im Leben hin will, ein Ehemann, der sich eingestehen muss, dass er seiner Frau nicht halb so viel Trost spenden kann, als er eigentlich sollte, und eine Frau, die sich zwischen Familie und Karriere nie bewusst nur für das eine entschieden hat, schlussendlich aber nichtsdestotrotz nur das eine zu haben scheinen kann.

Rund um das Dreiergespann sind weitere Figuren, die nebst dem Thema Kinderkriegen viele weitere Dinge ansprechen, die weit über die Babyblase hinausgehen, in der sich das Ehepaar befindet. Schlussendlich ist «Private Life» damit eine witzige, nicht weniger ernsthafte, bittersüsse, äusserst authentische und mit leisen Zwischentönen bestückte Tragikomödie, die aufgrund ihrer Botschaft nicht nur für vom Thema Betroffenen gemacht ist: Dass das Leben manchmal anders läuft als geplant, es aber immer irgendwie weitergeht – solange man das zulässt.

4 von 5 ★

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