Kritik10. Dezember 2020

Netflix-Kritik «The Prom»: Eine gute Tat

Netflix-Kritik «The Prom»: Eine gute Tat
© Netflix

Basierend auf dem Broadway-Musical «The Prom» inszeniert der durch Fernsehserien wie «Nip/Tuck» und «American Horror Story» bekannte Autor und Produzent Ryan Murphy einen bunten, quirligen Gute-Laune-Film, der dem Zuschauer vor allem eine Botschaft mit auf den Weg gibt: Liebe kennt keine Norm.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Bereits der Titel lässt erahnen, in welches Milieu uns Murphys Adaption entführen wird. «Prom» nennt man in US-amerikanischen Schulen den mit viel Bedeutung aufgeladenen Abschlussball. Das an Konflikten nicht gerade arme Umfeld der Highschool beleuchtete der Regisseur schon in seiner Musical-Soap «Glee» und seiner Comedy-Serie «The Politician» und pickt sich nun mit der Diskriminierung nichtheterosexueller Beziehungen ein leider auch dort noch immer präsentes Phänomen heraus.

Bevor wir tiefer in das Schulleben in der US-Provinz eintauchen, lernen wir allerdings ein narzisstisches, vom Erfolg verlassenes Broadway-Quartett kennen. Die Bühnendarsteller Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) sind nach der Premiere ihres neuen Stücks am Boden zerstört, da das Programm nach Erscheinen vernichtender Kritiken umgehend eingestellt wird. Die unbarmherzigen Rezensenten geisseln besonders die Selbstsucht der Mimen, was diese bei einer alkoholgeschwängerten Unterhaltung mit ihren ebenfalls schwer gebeutelten Kollegen Angie Dickinson (als Stichwortgeberin unterfordert: Nicole Kidman) und Trent Oliver (Andrew Rannells) auf eine perfide Idee bringt.

Aus dem Zusammenprall zwischen den exaltierten Unterhaltungskünstlern und dem amerikanischen Hinterland zieht der Film einige vorhersehbare Pointen.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Um ihr ramponiertes Image schnellstmöglich aufzupolieren, wollen sie sich aktivistisch betätigen und stossen durch Zufall auf den viral gegangenen Skandal an einer Highschool im Bundesstaat Indiana. Dort hat der von Mrs. Greene (Kerry Washington) angeführte Elternbeirat den traditionellen Abschlussball abgesagt, weil die lesbische Schülerin Emma Nolan (Jo Ellen Pellman) ihre Freundin als Begleitung mitbringen wollte. Dass es sich dabei um Alyssa Greene (Ariana DeBose), die Tochter der bigotten Obersittenwächterin, handelt, weiss zu diesem Zeitpunkt noch keiner. Gleich mit ihrer ersten Protestaktion erschüttern Dee Dee, Barry, Angie und Trent das Kleinstadtleben. In ihrem Eifer übersehen die Neuankömmlinge, dass die von Schulleiter Tom Hawkins (Keegan-Michael Key) unterstützte Emma dem Getöse nur wenig abgewinnen kann.

«The Prom» hält sich nicht lange mit feinen Charaktereinführungen auf, sondern umarmt beherzt das Klischee der sich arg wichtig nehmenden, zynischen Showstars, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Karrieren wieder anzukurbeln. Innerhalb kürzester Zeit ist die Idee des Publicity-Stunts in Indiana geboren. Und nur Augenblicke später geht es los auf grosse Fahrt. Aus dem Zusammenprall zwischen den exaltierten Unterhaltungskünstlern und dem amerikanischen Hinterland zieht der Film einige vorhersehbare Pointen. Bedient wird auch die stereotype Vorstellung, dass in der Provinz Engstirnigkeit und reaktionäre Haltungen auf einen starken Nährboden fallen. Hier und da brechen Murphy und seiner Mitstreiter dieses Denken jedoch auf.

Ihr lobenswertes Motto – Liebe lässt sich nicht eingrenzen – bekräftigt die Musical-Adaption mit Verve.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Ihr lobenswertes Motto – Liebe lässt sich nicht eingrenzen – bekräftigt die Musical-Adaption mit Verve. Etwas schade ist allerdings, dass Emma, deren Dilemma die Handlung antreibt, manchmal zu sehr aus dem Blickfeld gerät. Auch wenn in einigen Szenen spürbar ist, wie es sich anfühlt, wegen seiner Sexualität angefeindet zu werden und aus Angst vor abfälligen Reaktionen ein Versteckspiel zu betreiben – gelegentlich hätte der Film das Empfinden noch genauer beobachten können.

Weil die anfangs rundum egoistisch gezeichneten Theaterleute im weiteren Verlauf etwas menschlicher und weniger abgehoben wirken sollen, bekommen Dee Dee und Barry ihre Entwicklungs- und Läuterungsmomente geschenkt. Emotional sind diese kalkulierten Nebengeschichten nur deshalb halbwegs ergiebig, weil die Schauspieler, in erster Linie die unnachahmliche Meryl Streep, sie mit Intensität füllen.

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Erzählerisch ist «The Prom» nicht gerade ambitioniert. Ein ums andere Mal springen einen die bekannten Hollywood-Formeln regelrecht an. Und obwohl das Musical-Genre für seine Realitätsferne bekannt ist, könnten Meinungsumschwünge ruhig auch mal weniger plötzlich daherkommen. Das Ende, in dem sich alles schön zusammenfügt, gehorcht offenkundig illusorischen Filmgesetzen.

Die Energie und die Gestaltungsfreude, die aus manchen der mit agiler Kamera gefilmten Gesangseinlagen sprechen, verbreiten dennoch erfolgreich gute Laune. Wenn etwa der von Trent Oliver in einem Einkaufscenter dargebotene Song «Love Thy Neighbor» zu einer Massenchoreografie avanciert, kann man sich dem flotten Treiben nur schwer entziehen. In Erinnerung bleiben dürften auch der erste Auftritt der Broadway-Künstler in der Schule und das abschliessende Event, das noch einmal mit aller Wucht und grossem Glamour das Toleranzloblied anstimmt. Die Kraft des Eskapismus, die Schuldirektor Hawkins an einer Stelle beschwört, schlägt sich im Finale zweifelsohne nieder.

3 von 5 ★

«The Prom» ist ab dem 11. Dezember auf Netflix verfügbar.

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