Kritik1. November 2019

Netflix-Kritik «The King»: Ein von Shakespeare inspiriertes Historiendrama über Heinrich V.

Netflix-Kritik «The King»: Ein von Shakespeare inspiriertes Historiendrama über Heinrich V.
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Spätestens seit seiner Oscar-Nominierung für seine Rolle in der feinfühligen Romanverfilmung «Call Me by Your Name» gilt Timothée Chalamet als neuer Shootingstar in Hollywood. Im Netflix-Epos «The King» spielt er nun einen jungen Herrscher wider Willen, dessen Reformpläne sich an einer harten Wirklichkeit reiben.

Kritik von Christopher Diekhaus

Im frühen 15. Jahrhundert droht England, in Aufständen und Kleinkriegen zu versinken. Vielerorts erheben sich die Untertanen gegen die Tyrannei des todkranken Königs Heinrich IV. (Ben Mendelsohn), der mit seinen Feldzügen die Staatskasse schwer belastet. Sein ältester Sohn Hal (Timothée Chalamet) hat sich längst von seinem Vater abgewandt und lebt als trinkfreudiger Playboy unter einfachen Leuten in den Tag hinein. Zur Seite steht ihm dabei der brummige Sir John Falstaff (Joel Edgerton), ein ehemals angesehener Ritter, dem die Müdigkeit inzwischen aus jeder Pore kriecht.

Das auf diversen Shakespeare-Stücken basierende Historiendrama «The King» umkreist spannende Fragen und führt dem Zuschauer vor Augen, wie sich der um eine neue Politik bemühte König langsam von seinen guten Absichten entfernt.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Eines Tages findet das unbeschwerte Dasein des eigensinnigen Prinzen allerdings ein jähes Ende, da der Herrscher im Sterben liegt und Hals zum Nachfolger auserkorener jüngerer Bruder auf dem Schlachtfeld umkommt. Trotz seiner ablehnenden Haltung besteigt der dem Hof ferne Draufgänger als Heinrich V. schliesslich den Thron und gibt eine neue Marschroute aus: England soll in Frieden vereint werden. Nach Provokationen durch den französischen König erheben sich mehrere Stimmen, die vom neuen Regenten eine Demonstration der Stärke verlangen.

«The King» grenzt sich durch seinen unaufgeregten Ansatz von vielen anderen Mittelalterepen ab, in denen es ständig hochdramatisch und pathetisch zur Sache geht.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Kann man als Herrscher seinen Idealen folgen? Wie korrumpierend ist Macht? Und welche Fallstricke lauern bei der Lenkung eines Staates? Das auf diversen Shakespeare-Stücken basierende Historiendrama «The King», das im September 2019 bei den Filmfestspielen von Venedig seine Weltpremiere feierte, umkreist spannende Fragen und führt dem Zuschauer vor Augen, wie sich der unerfahrene, um eine neue Politik bemühte König langsam von seinen guten Absichten entfernt.

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Hauptdarsteller Chalamet bringt einmal mehr sein Charisma ein und lässt die Zweifel des jungen Monarchen wiederholt aufblitzen. Das von Regisseur David Michôd («The Rover») und Falstaff-Mime Joel Edgerton verfasste Drehbuch hätte sein Innenleben jedoch ruhig noch etwas genauer unter die Lupe nehmen können. Regelmässig baut der Film eine Distanz zur Hauptfigur auf, deren Entscheidungen nicht immer richtig zu greifen sind.

Kämpferische Auseinandersetzungen lassen sich an wenigen Fingern abzählen, besitzen dafür allerdings eine raue, authentische Qualität.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Der Handlung mag in manchen Momenten die Dringlichkeit fehlen. «The King» grenzt sich aber gerade durch seinen unaufgeregten Ansatz von vielen anderen Mittelalterepen ab, in denen es ständig hochdramatisch und pathetisch zur Sache geht. Kämpferische Auseinandersetzungen lassen sich an wenigen Fingern abzählen, besitzen dafür allerdings eine raue, authentische Qualität. Wenn sich Engländer und Franzosen gegen Ende im Schlamm wühlen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, kommt das der Realität sicher näher als die schön übersichtlichen Gefechte, die grosse Hollywood-Produktionen oftmals zelebrieren.

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Zurückhaltung dominiert nicht zuletzt auf visueller Ebene. Anders als etwa die imposanten, stark ästhetisierten Bilder in Justin Kurzels Shakespeare-Verfilmung «Macbeth» ziehen die erdfarbenen Aufnahmen in «The King» meistens keine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Aus dem Rahmen fällt einzig Robert Pattinson, der als französischer Königssohn dem Wahnsinn frönt und im Originalton einen lustig überzogenen Akzent zum Besten gibt. Seine Performance kann man störend finden. Ebenso gut lässt sie sich aber als kleiner Knalleffekt begrüssen. Egal, wozu man hier tendiert – Michôds fast zweieinhalb Stunden lange, häufig in schummrigen Innenräumen spielende Netflix-Arbeit hat ihren Reiz, selbst wenn nicht alle Rädchen ineinandergreifen.

3.5 von 5 ★

«The King» ist ab sofort auf Netflix verfügbar.

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