Kritik10. Juli 2020

Netflix-Kritik «Stateless»: Cate Blanchett fühlt der australischen Flüchtlingspolitik auf den Zahn

Netflix-Kritik «Stateless»: Cate Blanchett fühlt der australischen Flüchtlingspolitik auf den Zahn
© Netflix

Aus unterschiedlichen Perspektiven nähert sich die von Hollywood-Star Cate Blanchett mitentwickelte Miniserie «Stateless» den Verfehlungen der australischen Asylpolitik – und nimmt mit Blick auf die behandelten Figurenschicksale leider eine etwas unausgewogene Gewichtung vor.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Zentraler Schauplatz ist ein mitten in die australische Wüste hineingeschleuderter Zaun- und Containerkomplex, den die für die Einwanderungsbehörde arbeitende Clare Kowitz (Asher Keddie) an einer Stelle als „erstklassige Einrichtung“ bezeichnet. Eine Beschreibung, die zynischer nicht sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt weiss der Zuschauer nämlich schon sehr genau, dass sich im Inneren Dramen und grosse Ungerechtigkeiten abspielen. Kowitz soll die Ordnung in dem Auffang- und Abschiebehaftlager wiederherstellen und dafür sorgen, dass es nicht mehr in die Schlagzeilen gelangt. Auch wenn die Bürokratin manchmal ins Grübeln kommt, ob die an sie gestellten Forderungen von oben vertretbar sind, geht sie ihre Aufgabe mit Entschlossenheit an.

Grössere Skrupel scheinen bei Familienvater Cam Sandford (Jai Courtney) auf, der sich in der ersten Folge auf Anraten eines Freundes zu einem Wachmann ausbilden lässt und Mitgefühl für die aus verschiedenen Ländern kommenden Insassen zeigt. Sein neuer Job verschafft ihm und seinen Liebsten ein schmuckes Haus samt Pool. Die Brutalität, mit der viele Kollegen den Flüchtlingen begegnen, macht ihm allerdings zu schaffen.

In einigen Momenten arbeitet «Stateless» das Dilemma der Migranten prägnant heraus.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

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Zu den Verzweifelten, die in dem Lager auf einen positiven Asylbescheid warten, gehört der aus Afghanistan stammende Ameer (Fayssal Bazzi), der auf der Flucht von seiner Familie getrennt wurde. Das Wiedersehen mit seiner Tochter Mina (Soraya Heidari) gibt ihm neue Hoffnung. Gleichzeitig muss er aber auch eine schreckliche Nachricht verkraften.

Während Ameer und Mina von einem besseren Leben in Down Under träumen, will die aus der Psychiatrie getürmte und von ihren Verwandten entfremdete Sofie (Yvonne Strahovski), eine Australierin mit deutschen Wurzeln, den umgekehrten Weg gehen. Nachdem sie aus einer obskuren Selbsthilfesekte geworfen wurde, deren Anführer (beängstigend: Dominic West) sie massiv bedroht hat, landet sie ohne Papiere in dem Wüstengefängnis und bemüht sich unter falschem Namen um eine Abschiebung nach Deutschland.

Serienschöpfer Cate Blanchett, Elise McCredie und Tony Ayres legen den Finger in die Wunde.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Aus vier Blickwinkeln beleuchtet «Stateless» die Einwanderungssituation in Australien und arbeitet in einigen Momenten die systemischen Verfehlungen und das Dilemma der Migranten prägnant heraus. Angefangen bei den Machenschaften der Schlepper, die das Leid der asylbedürftigen Menschen ausbeuten, über das Gefühl der Entwurzelung und das zermürbende Warten auf eine Entscheidung bis hin zum Auseinanderbrechen ganzer Familien – die Serienschöpfer Cate Blanchett (auch als Ko-Oberhaupt der Sekte zu sehen), Elise McCredie und Tony Ayres legen den Finger in die Wunde und wollen die Komplexität der oft polemisch geführten Flüchtlingsdiskussion veranschaulichen.

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Ihr Ansatz ist zweifelsohne ehrenwert. Nach Sichtung der ersten vier von insgesamt sechs Episoden kristallisiert sich aber ein Muster heraus, das die Intentionen ein wenig untergräbt. Auch wenn Ameers Erfahrungen in den Blick geraten, bleiben die meisten Schicksale innerhalb des Lagers nach mehr als der Hälfte der Gesamtlaufzeit vage.

Die Figur der weissen blonden Sofie, die vom realen Fall der gebürtigen Deutschen Cornelia Rau inspiriert wurde, bekommt hingegen deutlich mehr Raum. Ihre Vorgeschichte wird in Rückblenden stärker beleuchtet. Und gelegentlich schieben die Macher Szenen ein, die zeigen, wie Sofies Schwester Margot (Marta Dusseldorp) nach der Vermissten sucht. Um eine grössere emotionale Wucht zu entfalten, hätte die in ihrer Personenkonstellation mitunter etwas konstruiert wirkende Miniserie die Erzählanteile in den Folgen eins bis vier gleichmässiger auffächern sollen.

3 von 5 ★

«Stateless» ist auf Netflix verfügbar.

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