Kritik27. März 2019

Netflix-Kritik «Osmosis»: Eine Sci-Fi-Serie über die Sehnsucht nach ewiger Liebe

Netflix-Kritik «Osmosis»: Eine Sci-Fi-Serie über die Sehnsucht nach ewiger Liebe
© Netflix

Was wäre, wenn eine App zielsicher für jeden Menschen die wahre Liebe finden könnte? Diese ebenso faszinierende wie beunruhigende Frage steht im Zentrum der dritten Netflix-Serie aus Frankreich (nach «Marseille» und «Plan Coeur»), die den Zuschauer in eine vielleicht gar nicht so weit entfernte Zukunft entführt.

Serien-Kritik von Christopher Diekhaus

Einen Partner fürs Leben finden. Ins pure Glück eintauchen. Und absolute Geborgenheit geniessen. All dies soll schon in Kürze mit der brandneuen Dating-Technologie Osmosis möglich sein, die das ehrgeizige Geschwistergespann Esther (Agathe Bonitzer) und Paul Vanhove (Hugo Becker) auf den Markt und unter die Leute bringen will.

Mithilfe implantierter Nanoroboter, denen keine Gefühlsregung entgeht und über die sämtliche verfügbare Daten abgeglichen werden, offenbart sich – so versprechen die beiden Start-up-Gründer – im Gehirn aller Benutzer der für sie passgenaue Seelenzwilling. Danach müssen sich die User in der Realität den Auserwählten nur noch annähern. Und fertig ist der Weg zur grossen Liebe!

Liebe aus dem Labor: Mithilfe implantierter Nanoroboter soll das möglich sein.
Liebe aus dem Labor: Mithilfe implantierter Nanoroboter soll das möglich sein. © Netflix

Ausgerechnet kurz vor dem Startschuss der Beta-Testphase mit mehreren Versuchspersonen erhält der für die geschäftlichen Belange zuständige Paul eine niederschmetternde Nachricht: Die Geldgeber seiner Firma haben den Glauben an ihn verloren und ziehen daher den Stecker. Angetrieben von unbändigem Vertrauen in sein Produkt und verärgert über die Demütigung, boxt er dennoch den Beginn des Probeverfahrens durch und setzt seine hin- und hergerissene Schwester, die die technische Konzeption verantwortet, damit unter enormen Druck.

Schon die ersten beiden Episoden zeigen, dass in der Serie grosses Potenzial steckt.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Einerseits zweifelt Esther, ob ihre App wirklich schon die volle Reife erreicht hat. Andererseits ist sie wild entschlossen, ihre im Wachkoma liegende Mutter Louise (Aurélia Petit) wieder ins Leben zurückzuholen. Ein Unterfangen, bei dem Osmosis – unter Umgehung einiger Grundsatzregeln – nützlich sein kann.

Das Geschwisterpaar Esther und Paul verspricht sich viel von der Dating-Technologie Osmosis.
Das Geschwisterpaar Esther und Paul verspricht sich viel von der Dating-Technologie Osmosis. © Netflix

Schon die ersten beiden vorab bereitgestellten Episoden der achtteiligen Netflix-Produktion zeigen, dass in der von Audrey Fouché («The Returned») kreativ verantworteten Serie grosses Potenzial steckt. Immer stärker lassen wir heutzutage unseren Alltag vermessen, von Daten bestimmen. Und immer grösser scheint die Sehnsucht nach persönlicher Erfüllung, nach einem rundum glücklichen Leben, zu dem auch eine perfekt ausbalancierte Beziehung gehört.

Die hier präsentierte Welt ist nicht allzu weit von der Jetztzeit entfernt.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Digitale Dating-Portale schiessen wie Pilze aus dem Boden, locken mit vollmundigen Zusagen. Und eine wachsende Zahl von Menschen hofft, über derartige Anbieter den grossen Gefühlsjackpot zu knacken. Showrunnerin Fouché verdichtet all diese Entwicklungen zu einem aufregenden Zukunftsszenario, das in seiner optischen Gestaltung zwischen futuristisch-funktional und gegenwärtig pendelt.

Szenen an der Seine: Die Serie spielt in der französischen Hauptstadt.
Szenen an der Seine: Die Serie spielt in der französischen Hauptstadt. © Netflix

Das Paris, in dem sich die Handlung abspielt, sieht weitestgehend so aus, wie man die Seine-Metropole kennt. Und die Innenräume des Start-Ups erinnern mit ihrer Konzentration auf Glas und modernste Technikvorrichtungen im kleinen Rahmen an die Zentralen der Silicon-Valley-Giganten. Die hier präsentierte Welt ist nicht allzu weit von der Jetztzeit entfernt und verleitet den Betrachter gerade deshalb dazu, sich auf sie einzulassen, sich Gedanken über ihre Vor- und Nachteile zu machen.

Was sehr verkopft klingen mag, ist in Wahrheit keine Sekunde langweilig.– Cineman-Kritiker Christopher Diekhaus

Ohne in einseitige, platte Technikpanik zu verfallen, umkreist Fouché in den Anfangsfolgen die Möglichkeiten und die Gefahren der von Esther programmierten App. Wenig selbstbewusste Personen oder solche, die unter einer Beziehungsstörung leiden, scheinen dank Osmosis langsam aufblühen zu können. Schnell steht aber auch die Frage im Raum, ob es tatsächlich wünschenswert ist, dass die Anwendungssoftware tief in das menschliche Gehirn eindringt und intimste Geheimnisse durchleuchtet.

Der unverbesserliche Idealist Paul würde darauf mit einem klaren „Ja“ antworten. Nicht umsonst beschwört er in einer Szene inbrünstig die Fähigkeiten seiner Errungenschaft, die dem Nutzer angeblich eine völlig neue Körpererfahrung garantiert. Zwei Individuen durchdringen sich und verschmelzen, wie er es formuliert, quasi zu einem neuen Wesen. Ein Empfinden, das die Serie ab und an in abstrakte, ästhetisch markante Bilder giesst. Reine Glückseligkeit ist dabei allerdings nicht immer zu spüren, mitunter bricht sich stattdessen Verzweiflung Bahn.

«Osmosis» zeichnet eine zukünftige Welt, die nicht ganz so abwegig ist.
«Osmosis» zeichnet eine zukünftige Welt, die nicht ganz so abwegig ist. © Netflix

Was sehr verkopft klingen mag, ist in Wahrheit keine Sekunde langweilig, da «Osmosis» früh mehrere spannende Konflikte etabliert und kleine emotionale Akzente setzt. Schon die Vorgeschichte der App wird von einer Grenzüberschreitung begleitet. Pauls Partnerin Joséphine (Philypa Phoenix) verschwindet am Ende der ersten Folge spurlos. Esthers Schmerz angesichts des Zustandes ihrer Mutter fühlt sich echt an und macht es dem Betrachter nicht leicht, ihr übergriffiges Verhalten zu verurteilen. Eine Aktivistengruppe läuft gegen das Osmosis-Projekt Sturm. Und nicht alle Testteilnehmer spielen mit offenen Karten.

In den Episoden eins und zwei legt Fouché den Grundstein für eine anregende, wendungsreiche Reflexion über die Zukunft der Liebe. Und die Chancen stehen gar nicht mal so schlecht, dass sie ihre Ideen sinnvoll weiterspinnt und ihren manchmal noch etwas skizzenhaft wirkenden Figuren mehr Profil verleiht.

4 von 5 ★

Die erste Staffel von «Osmosis»ist ab dem 29. März auf Netflix zu sehen.

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