Kritik7. August 2018

Netflix-Kritik «Flavors of Youth»: Anime von den «Your Name»-Machern

Netflix-Kritik «Flavors of Youth»: Anime von den «Your Name»-Machern
© Netflix

Netflix entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Streaming-Dienst, der mit Eigenproduktionen wie «Violet Evergarden» oder Kultserien wie «Cowboy Bebop» und «Fullmetal Alchemist» auch auf Anime-Fans einen immer grösseren Reiz ausübt. Die Kurzgeschichtensammlung «Flavors of Youth» von den Machern von «Your Name» soll das Interesse an Netflix-Produktionen im Anime-Bereich nun erneut schüren.

Der Trailer

Darum geht's

Die chinesisch-japanische Coproduktion von CoMix Wave Films, den visionären Schöpfern von «Your Name», besteht aus drei Kurzgeschichten, die in unterschiedlichen chinesischen Städten spielen und sowohl von den einfachen Freuden des Lebens als auch von der Erkenntnis erzählen, dass selbst die Zeit ein liebendes Herz nicht zum Stillstand bringen kann.

1. Die Reisnudeln

Eine poetisch-kulinarische Ode an Reisnudeln

Die Kurzgeschichte «Die Reisnudeln» ist ein Fest für die Augen, das vom Blick auf die wichtigen Dinge im Leben, nostalgischen Momenten und natürlich der idealisierten Ästhetik von Reisnudeln lebt. © Netflix

«Die Reisnudeln» als erste der drei Kurzgeschichten handelt von einem Mann, der seiner Arbeit wegen nach Peking ziehen musste, wo sein ehemaliges, idyllisches Leben auf dem Lande schon fast in Vergessenheit geraten ist – bis er eine Portion Reisnudeln isst, die Kindheits- und Jugenderinnerungen wieder lebendig werden lässt.

Teil eins von «Flavors of Youth» ist eine Ode an Reisnudeln und deren Herstellung, die zwar eine eher dünne Story liefert, aber – im Vergleich zu den anderen beiden Kurzgeschichten – am allermeisten durch eine einladende aber auch stark idealisierte Optik besticht. Mit seinem starken kulinarischen Fokus mag «Die Reisnudeln» nicht jedermanns Geschmack sein, Fans von Anime-Serien wie «Restaurant to Another World», dürften aber auch diesen ersten 17 Minuten von «Flavours of Youth» einiges abgewinnen: Mit Bildern, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, einer gemächlich voranschreitenden Handlung und der Zelebrierung einer ganz bestimmten Kochkultur wird «Die Reisnudeln» sein Publikum auf jeden Fall finden.

2. Eine kleine Modenschau

Ein Kampf gegen das Modebusiness und sich selbst

Die Konkurrenz schläft nicht: Yi Lin möchte weiterhin ein Star der Modebranche sein – doch zu welchem Preis? © Netflix

«Eine kleine Modenschau» beleuchtet das Leben des gefragten Models Yi Lin und deren jungen Schwester Lulu, die sich nichts sehnlicher wünscht als Modedesignerin zu werden – ein Traum von dem Yi Lin nichts zu ahnen scheint. Da ihre Eltern verstorben sind, kümmert sie sich um Lulu, doch bald schon sieht sie das Ende ihrer ambitionierten Modelkarriere unaufhaltsam auf sich zukommen.

Der zweite Teil von «Flavors of Youth» kommt als gesellschaftskritisches Familiendrama, in dem die Schattenseiten einer rücksichtslosen Modeindustrie aufgezeigt werden, daher. Getragen von einigen aussagekräftigen Botschaften über Geschwisterliebe, das Erreichen eigener Ziele und über einige Mechanismen der Modebranche dürfte die Geschichte für viele schon einiges mehr hergeben als «Die Reisnudeln». Allerdings liefert das Mittelstück von «Flavors of Youth» auch zahlreiche Klischees, die einen zuweilen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Nichtsdestotrotz ist «Eine kleine Modeschau» eine passable Geschichte über geschwisterlichen Zusammenhalt und die Hoffnung, seinen eigenen Weg zu finden.

3. Liebe in Shanghai

Der Beweis, dass selbst die Zeit ein liebendes Herz nicht zum Stillstand bringen kann

Vergangene Streitereien unter Freunden werden im Hinblick auf die Gegenwart zu Banalitäten. © Netflix

In «Liebe in Shanghai» weckt eine bei einem Umzug gefundene alte Kassette Li Mos Erinnerungen an seine Jugend: Eine unbeschwerte Zeit mit Freunden, ein buchstäblich und im übertragenen Sinn strahlender Lebensabschnitt, der zunächst mit leuchtenden Farben und Sonnenschein ins entsprechende Licht gerückt wird – bis es an die Vorbereitungen für den Übertritt an die Oberstufe geht: Während Li Mo sich erst tiefere Ziele gesetzt hat, strebt sein Schwarm Xiao Yu, auf Wunsch ihres Vaters, die Aufnahme an einer renommierten Universität an. Eine jugendliche Liebe droht jäh zu zerbrechen. Doch Li Mo versucht das mit allen Mitteln zu verhindern.

Die stärkste aller drei Geschichten haben sich die Macher von «Flavors of Youth» für den Schluss aufgehoben. Die Hommage an Makoto Shinakis «5 Centimeters per Second» ist mit ihrem ausgefeilten Licht- und Farbspiel, einem bewegenden Wendepunkt und einer herzzerreissenden Romeo-und-Julia-Komponente der nostalgische Höhepunkt der Anthologie. Über den Ausgang dieser Kurzgeschichte liesse sich allerdings streiten: Des einen Kitsch ist des anderen krönender Abschluss eines zwar eher durchschnittlichen, aber dennoch passablen Animes aus dem Hause CoMix Wave Films.

Fazit

Sehenswert aber nicht aussergewöhnlich: «Flavors of Youth» sorgt für gute Unterhaltung – bahnbrechend ist der Anime aber nicht. © Netflix

Der Anime überzeugt zwar durch überdurchschnittlich anschauliche Bilder, erreicht dabei aber bei Weitem nicht die künstlerische und auch handwerklich makellose Qualität von Filmen wie «5 Centimeters Per Second», «Children Who Chase Lost Voices» oder «Your Name» von CoMix Wave Films. Was den einzelnen Episoden der verhältnismässig unerfahrenen Regisseure Jiaoshou Yi Xiaoxing, Yoshitaka Takeuchi und Li Haoling noch fehlt, ist Individualität; Besonderheiten, die einen dazu verleiten würden, ihrem zukünftigen Werdegang zu folgen und sich nicht auf Altmeister ihres Fachs zu verlassen, denen es oftmals scheinbar beinahe schon mühelos gelingen mag, Figuren Tiefe und Einzigartigkeit zu verleihen, unvergessliche Stimmungsbilder auf Leinwände zu zaubern und ihren Filmen eine einzigartige Handschrift zu verleihen.

«Flavors of Youth», das Potpourri aus Familien- sowie Teenagerdrama und einer Lobeshymne auf Reisnudeln, liefert in kleinen Häppchen Geschichten nach altbekannten Schemata, die in rund ein einviertel Stunden leicht und schnell zu konsumieren sind, ansehnliche Szenen bieten und für Kurzweil sorgen – dabei aufgrund ihrer fehlenden Einzigartigkeit wohl aber schon schnell wieder in Vergessenheit geraten könnten.

3 von 5 ★

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