Artikel14. Juni 2019

Mythos oder Wirklichkeit? 9 Fakten zur HBO Miniserie «Tschernobyl»

Mythos oder Wirklichkeit? 9 Fakten zur HBO Miniserie «Tschernobyl»
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Mit der Veröffentlichung der fünften und letzten Folge der Miniserie rund um die Nuklearkatastrophe in der ehemaligen UdSSR ist «Tschernobyl» schon beinahe wieder Geschichte. Das tut der Faszination an der auf IMDB zurzeit bestbewerteten Serie und den wirklichen Geschehnissen, mit denen sie sich befasst, aber absolut keinen Abbruch. Im Folgenden gibt es deshalb 9 Fakten zur Serie, die zeigen, wie nah sie an der Wahrheit dran ist.

Hinweis: Die folgenden Fakten verraten Plotdetails aus den gesamten 5 Folgen von «Tschernobyl».

1. Ulana Khomyuk ist eine fiktive Figur, die es in der Realität nicht gegeben hat.

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Während Boris Shcherbina (in der Serie gespielt von Stellan Skarsgård) und Valery Legasov (Jared Harris) reale Figuren sind, die wie in der Serie gezeigt an der Aufklärung sowie den Aufräumaktionen des Atomunfalls in der damaligen Sowjetunion beteiligt waren, hat es die energische Kernphysikerin Ulana Khomyuk in Wirklichkeit nicht gegeben.

Wie der Macher und Drehbuchautor Craig Mazin im Podcast zur Serie erklärte, steht Ulana repräsentativ für alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich während dieser Zeit unermüdlich und entgegen dem herrschenden politischen Klima für eine Aufklärung der Vorkommnisse eingesetzt haben. Mazin hat bewusst eine Frau mit dieser Rolle besetzt, da er darstellen wollte, dass in der Sowjetunion bereits damals erstaunlich viele Frauen in der Forschung sowie als Ärztinnen tätig waren – ganz im Gegensatz zum Westen.

2. Statt mit Amerika zu kooperieren, wurde auf Bioroboter zurückgegriffen.

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In der vierten Folge der Miniserie wird ein Roboter namens "Joker" eingesetzt, um das hoch verstrahlte Graphit vom Dach des Reaktorblocks 4 zu entfernen, der jedoch nach wenigen Minuten jegliche Tätigkeiten einstellt. Daraufhin schlägt Legasov vor, "Bioroboter" für die Aufräumaktion einzusetzen, also Menschen.

Das hat sich auch wirklich so ereignet: Zwischen 400'000 und 900'000 grösstenteils wehrpflichtige Soldaten wurden eingezogen, um das Graphit vom Dach zu schieben – ihre Kleidung musste direkt entsorgt werden, da sie so stark kontaminiert war. In der Serie durften die Männer höchstens 90 Sekunden auf dem Dach verbringen, in Tat und Wahrheit waren es gar nur 40 Sekunden. Ihr Körper wurde durch die hohe Strahlendosis so stark beansprucht, dass die Soldaten in ihrem Leben nie mehr in Kontakt mit radioaktiv verstrahltem Material kommen durften.

3. Tote Vögel fielen tatsächlich vom Himmel.

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Am Ende der ersten Folge sieht man als Zuschauer den Gehweg eines Wohnheims, wobei plötzlich ein Vogel vom Himmel fällt und scheinbar tot auf den Boden knallt. Bloss ein dramaturgisches Element, um die Tragweite des Unfalls darzustellen, könnte man meinen – laut Augenzeugenberichten aus dem Buch «Voices From Chernobyl» ist das damals aber tatsächlich so passiert. So soll sich ein Taxifahrer gefragt haben, wieso so viele Vögel auf seiner Windschutzscheibe landeten – es habe so ausgesehen, als würden sie schlafend vom Himmel fallen, fast wie Selbstmord.

4. Die Taucher, die in der Serie dem Tod geweiht schienen, haben überlebt.

Die drei Taucher, die sich heldenhaft freiwillig gemeldet haben, um unter den Reaktor zu tauchen und dort eine Wasserpumpe manuell zu öffnen – eine Tat, die höchst wahrscheinlich eine zweite Explosion abwenden konnte – hatten laut Aussagen in der Serie nicht mehr lange zu leben, da sie einer immens hohen Dosis von Röntgen ausgesetzt waren.

Tatsächlich leben zwei der drei Männer – keine richtigen Taucher, sondern Ingenieure von Beruf, die sich im Kraftwerk gut auskannten – noch heute, und auch der dritte von ihnen, Schichtleiter Borys Baranov, ist erst 2005 gestorben.

5. Der berühmte Ausspruch "What is the cost of lies?" ist reine Fiktion.

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Valery Legasov hat kurz vor seinem Suizid, der auch in der Serie gezeigt wird, seine Rolle während den Monaten nach dem Atomunfall auf Tapes aufgenommen – diese wurden jedoch nach seinem Tod mehrheitlich zerstört, vermutlich um Beweise zu eliminieren.

Heute kursieren laut seiner Tochter viele falsche Versionen seiner Aussagen im Internet. So soll auch der fulminante Opener der Serie (“What is the cost of lies? It’s not that we’ll mistake them for the truth. The real danger is that we’ll hear enough lies, then we no longer recognize the truth at all.") nie so von Legasov gesagt worden sein. Seine Familie wird in der Serie übrigens nicht oder nur am Rande erwähnt, was die Macher damit erklären, dass sie die Dinge nicht überdramatisieren wollten mit einem Held, der trotz Familie all diese Risiken eingeht.

6. Es ist ein Helikopter abgestürzt – aber nicht der erste.

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Um den brennenden Reaktor abzukühlen, liess Boris Shcherbina auf Rat von Valery Legasov hin Tonnen von Sand einfliegen, die über dem Trümmerfeld verstreut wurden. In der Serie ist dies ein spannender Moment, weil einer der ersten Helikopter über dem Kraftwerk abstürzt.

In Wirklichkeit ist ebenfalls ein Helikopter vom Himmel gefallen – aber erst 14 Tage, nachdem die ersten Helikopter mit Sandlieferungen angekommen sind. Craig Mazin gab in einem Interview mit Men’s Health an, dass dies einige der wenigen Dinge waren, die er der Dramaturgie zuliebe abgeändert hat – weil er wollte, dass dem Zuschauer bewusst wird, welch ein Risiko davon ausgeht, über einen verstrahlten Reaktor zu fliegen.

7. Das Ehepaar Ignatenko hat es wirklich gegeben.

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Lyudmilla Ignatenko, die Frau eines Feuerwehrmannes, der nach dem Unfall als erster zur Stelle war, nimmt in der Serie eine zentrale Rolle ein: Als Zuschauer erlebt man den Horror und die Konsequenzen der Geschehnisse von damals durch ihre Augen hautnah mit. Eindrücklich ist, dass es Lyudmilla und ihren Mann wirklich gegeben hat: Sie erzählt ausführlich von ihren schmerzlichen Erfahrungen im Buch «Voices From Chernobyl».

Das gleiche Schicksal ereilte auch die übrigen 27 Feuerwehrleute, die wie Lyudmillas Mann innerhalb weniger Wochen nach der Explosion von Reaktor 4 in Tschernobyl gestorben sind: Da sie sich der Gefahren, die vom Super-GAU ausgingen, nicht bewusst waren, trugen sie keine Schutzkleidung und hielten sich zu lange in der Nähe von hoch verstrahltem Material auf. Ihre Kleidung liegt übrigens noch heute im Keller des Krankenhauses in Prypiat.

8. Die Gerichtsverhandlung fand tatsächlich in Tschernobyl statt.

Aufgrund eines Gesetzes der damaligen UdssR, das besagt, dass Gerichtsverhandlungen immer dort stattfinden müssen, wo die Straftat begangen wurde, fand der Prozess tatsächlich in Tschernobyl statt, in einem noch immer verseuchten Gebiet rund 20 Kilometer vom Reaktor entfernt.

Was hingegen nicht stimmt ist die Tatsache, dass Valery Legasov während des Prozesses anwesend war: Wie Craig Mazin im Podcast erklärt, wurden vor Gericht nur Leute geladen, die wir als Zuschauer nicht gekannt hätten – und zu denen wir dementsprechend keine emotionale Bindung gehabt hätten. So wird die Gerichtsverhandlung in Folge 5 zu einer nervenaufreibenden, krimiartigen Szene, die endlich Licht ins Dunkel bringt, was an jenem 26. April 1986 in Raktor 4 passiert ist.

9. Die Evakuierung ist ziemlich nah an der Realität.

Weil die Evakuierung von den Sowjetischen Befehlshabern extrem spät angeordnet wurde, musste sie, als es endlich so weit war, beinahe unmenschlich schnell vonstatten gehen: Gerade einmal 50 Minuten bis zu zwei Stunden blieben den Bewohnern von Prypiat, um nach den Durchsagen der Behörden ihre dringendsten Habseligkeiten zusammenzupacken.

Den Bürgern wurde angeordnet, nur Kleider und Essen für wenige Tage zu packen – ohne die Information, dass sie ihre Heimat wohl nie mehr wiedersehen würden: Bis heute durfte keiner der Bewohner in die verstrahlte Stadt zurück.

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