News16. August 2021

74. Locarno Film Festival: Rückblick

74. Locarno Film Festival: Rückblick
© Locarno Film Festival

Der internationale Wettbewerb des 74. Locarno Film Festivals ist gelaufen: Die Jury hat das Maximum aus einem enttäuschenden Line-up herausgeholt. Ein Rückblick.

Alan Mattli, Cassiane Pfund und Karin Taglang

Den Hauptpreis holt sich verdientermassen der indonesische Regisseur Edwin mit seiner furiosen Genremischung «Vengeance Is Mine, All Others Pay Cash», in der sich ein impotenter Raufbold im Indonesien der Suharto-Diktatur in eine ihm ebenbürtige Martial-Arts-Kämpferin verliebt. Edwins Beitrag, wie auch der verspielt-kritische chinesische Jurypreis-Gewinner «A New Old Play», waren willkommene Kontraste in einem Wettbewerb, der sonst eher durch getragene, aber kaum überragende Werke auffiel – darunter das russische Drama «Gerda», dessen Hauptdarstellerin Natalya Kudryashova den Goldenen Leoparden für die beste weibliche Hauptrolle erhält.

Als bester Hauptdarsteller werden Mohammed Mellali und Valero Escolar aus dem katalanischen Film «Sis dies corrents» ausgezeichnet. Bester Regisseur wird der Amerikaner Abel Ferrara für seinen abstrakten Thriller «Zeros and Ones», in dem Ethan Hawke eine Doppelrolle spielt. Für den Schweizer Beitrag, das Beziehungsdrama «Soul of a Beast» von Lorenz Merz, gibt es immerhin eine spezielle Erwähnung, ebenso für die schwarzhumorige spanische Komödie «Espíritu sagrado».

Den goldenen Leoparden in der Kategorie Cineasti del Presente gewinnt Francesco Montagner mit «Brotherhood», der Preis für den besten aufstrebenden Regisseur geht an Hleb Papou («Il legionario»). Weitere Preise in der Kategorie Pardi di Domani gehen an María Silvia Esteve («Creature»), Leonardo Martinelli («Fantasma Neon») und Eliane Esther Bots («In Flow of Words»). Im nationalen Wettbewerb gewinnen Nora Longatti («Chute»), Naomi Pacifique («After a Room») sowie Flavio Luca Marano und Jumana Issa («Es muss»).

Das Festival fand erstmals unter der Leitung des neuen Direktors Giona A. Nazzaro statt. Im Vorfeld gab es aufgrund der Filmauswahl Bedenken, insbesondere Filme wie der Action Thriller «Beckett», der inzwischen bereits auf Netflix zu sehen ist, oder «Free Guy», eine ziemlich durchschnittliche Action- Komödie von Shawn Levy, wurden schon vor dem Festival kontrovers diskutiert. Auch im Nachgang heisst es vielerorts, Nazzaro hätte zu viele Genre-Filme gezeigt, und dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist es ihm gelungen, das Publikum zurück ins Kino zu holen. Der Slogan «Cinema is back» hat funktioniert – sicher auch dank des konsequent umgesetzten Schutzkonzeptes.

Zu reden gab vor allem das Herzstück des Festivals: das Programm auf der Piazza Grande. Eher unerwartet ging hier ein österreichischer Film als Publikumsliebling hervor, und zwar «Hinterland» von Stefan Rutzowitzky. «Grosses Kino für die Grossleinwand», schreibt Urs Bühler in der NZZ. Der Schweizer Film «Monte Verità» von Stefan Jäger war hingegen eher ein Flopp. Zu viel Kitsch und zu wenig Zündstoff warf man dem Film vor. Man kann es niemals allen recht machen, doch zumindest hat das diesjährige Locarno Film Festival ein wenig frischen Wind gebracht.

Der vorliegende Text entstand im Rahmen der Locarno Critics Academy, AutorInnen sind die drei Mitglieder der Schweizer Sektion.

Ist dieser Artikel lesenswert?


Kommentare 0

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung