Artikel22. Mai 2023

Herrlich unberechenbar: Nahaufnahme Nicolas Cage

Herrlich unberechenbar: Nahaufnahme Nicolas Cage
© Elite Film

Sein Name ist… keineswegs Programm. In einen Käfig stecken lässt sich US-Schauspieler Nicolas Cage nämlich nicht. Wild und frei liebt er es stattdessen auf der Leinwand und im Leben. Oft auf sein manchmal hemmungsloses Overacting reduziert, weiss der Oscar-Preisträger immer dann zu überraschen, wenn man ihn eigentlich schon abgeschrieben hat. Zum Start seines neuen Kinofilms «Renfield» schauen wir uns die Karriere des Hollywood-Chamäleons genauer an!

Aus Coppola wird Cage

Nicolas Cage als heimliches Love Interest von Cher in «Mondsüchtig» © IMDb

Was nicht jeder weiss: Geboren wird Nicolas Cage am 7. Januar 1964 als Nicolas Kim Coppola. Coppola? Klingelt da etwas? In den 1970er Jahren gehört Francis Ford Coppola, Schöpfer der Meisterwerke «Der Pate» (1972) und «Apocalypse Now» (1979), zu den einflussreichsten Filmemachern Amerikas. Sein Neffe Nicolas, der sich früh für die Schauspielerei begeistern kann, übernimmt einige Rollen in den Arbeiten des gefeierten Regisseurs, wechselt aber irgendwann seinen Nachnamen. Warum? Um sich freizuschwimmen, der Welt zu beweisen: Seht her, ich finde nicht nur deshalb Jobs, weil ich einen mächtigen Onkel habe.

Der grosse Durchbruch gelingt dem seit Anfang der 1980er Jahre im Filmgeschäft aktiven Cage mit der an den Kinokassen erfolgreichen romantischen Komödie «Mondsüchtig» (1987) (Amazon Prime) und David Lynchs furiosem Roadmovie «Wild at Heart» (1990) (AppleTV), das in Cannes die Goldene Palme absahnt. Einfühlsam, aufbrausend, unberechenbar – schon in dieser Zeit blitzt die Bandbreite des Vollblutmimen auf.

Oscar-Held und Grenzgänger

Patricia Arquette und Nicolas Cage in Scorseses «Bringing Out the Dead» © IMDb

Anerkennung in Hollywood findet Cage spätestens mit dem Drama «Leaving Las Vegas» (1995) (AppleTV), in dem er den Niedergang eines alkoholkranken Drehbuchautors schmerzhaft eindringlich nachzeichnet. Der Lohn für seine vibrierende Performance: ein Oscar als bester Hauptdarsteller. Die Lust am Experimentieren kennzeichnet in den Folgejahren seine Karriere.

Fette, häufig actiongeladene Blockbuster-Produktionen wie «The Rock – Fels der Entscheidung» (1996) (Disney+), «Con Air» (1997) (Disney+ und «Das Vermächtnis der Tempelritter» (2004) (Disney+) tauchen in seiner Filmografie ebenso auf wie kleinere, unkonventionelle Werke. Für Regielegende Martin Scorsese etwa streift er in «Bringing Out the Dead» (1999) (AppleTV) als ausgebrannter Rettungssanitäter durch ein infernalisches New York. Und in Spike Jonzes absurder Tragikomödie «Adaptation» (2002) (AppleTV) spielt er zwei grundverschiedene Zwillingsbrüder, die sich als Filmautoren versuchen.

Spott und private Turbulenzen

Nicolas Cage am Ausrasten in «The Wicker Man» © IMDb

Schaden nimmt sein Ansehen als ernsthafter Schauspieler vor allem mit dem Mystery-Thriller «The Wicker Man» (2006), einem US-Remake des gleichnamigen britischen Kultstreifens von 1973. «Not the Bees!» Bizarre Textzeilen wie diese muss Cage in dem von der Kritik einhellig verrissenen Film durch die Gegend brüllen – und wird zum Gegenstand zahlreicher skurriler Memes. Plötzlich gilt er als enthemmter Knallcharge, obwohl er nach wie vor interessante Rollen spielt. Unter der Regie Werner Herzogs begibt er sich beispielsweise in «Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen» (2009) (Mubi) als drogensüchtiger Polizist auf einen irren Trip.

In den Fokus gerät mehr und mehr das Privatleben des Filmstars, das man, nun ja, als turbulent bezeichnen muss. Nach einer gescheiterten Ehe mit Schauspielkollegin Patricia Arquette heiratet Cage 2002 Lisa Marie Presley, die Tochter Elvis Presleys, lässt sich aber nur vier Monate später von ihr scheiden. Ganz schön crazy? Es geht noch besser: 2019 tritt er zum vierten Mal vor den Traualtar, lässt die Ehe mit der Maskenbildnerin Erika Koike jedoch nur vier Tage nach der Vermählung wieder annullieren. Grosses Kino, keine Frage!

So exzentrisch, wie sich Cage mitunter auf der Leinwand präsentiert, so ausschweifend ist auch sein Lebensstil. Ein Schloss in Bayern, eine Insel auf den Bahamas, absurde Sammelleidenschaften – seine hart verdienten Top-Gagen verschleudert er auf verblüffende Weise. Kein Wunder, dass er Ende der 2000er Jahre kein Geld mehr hat und beim Finanzamt gewaltig in der Kreide steht.

Schauspielerische Niederungen

Mut zu subtilem Schauspiel: Nicolas Cage in «Pig» © IMDb

Die Anfang der 2010er beginnende Abkehr von Hollywood begründet Cage unter anderem mit seiner Angst, eingeengt zu werden. Spontaneität, Improvisation ist dort nicht möglich – und deshalb sagt der Oscar-Preisträger langsam Tschüss. Die nun anbrechende Flut an hastig produzierten B-Movies hängt allerdings auch mit seinen Steuerschulden zusammen. Cage braucht Geld, dreht wie ein Wahnsinniger und ist dabei nicht gerade wählerisch.

Gurken wie «Der letzte Tempelritter» (2011) (AppleTV), «Left Behind» (2014) (AppleTV), «Pay the Ghost» (2015) (AppleTV) und «Between Worlds» (2018) (AppleTV) werden auf ewig in seiner Vita stehen. Was manche der oft hämischen Kritiker aber gerne unterschlagen: Zwischen all den Fehlschüssen gibt es hier und da kleine Perlen. Filme, in denen er nicht nur wild drauflos chargiert. Filme, die auch die leisen Töne beherrschen. «Joe» (2013) (AppleTV), ein Hinterland-Thriller von brodelnder Qualität, und «Pig» (2021) (AppleTV), die Geschichte eines Einsiedlers, der sein geklautes Trüffelschwein zurückholen will, sind definitiv Lichtblicke in einer an Glanzpunkten armen Zeit.

Dauerhafte Rückkehr auf die grosse Bühne?

Doppeltes Spiel mit Nicolas Cage in «Massive Talent» © Elite Film

Wer ein Achterbahnleben hat wie Cage, braucht eigentlich seinen eigenen Film – denkt sich Tom Gormican und entwirft eine Meta-Actionkomödie mit einer fiktionalisierten Version des Oscar-Preisträgers im Mittelpunkt. Der einstige Leinwandstar muss sich zum Mitwirken überreden lassen, zeigt sich in «Massive Talent» (2022) (AppleTV) dann aber von einer herrlich selbstironischen Seite. Geldsorgen, Karriereknick, die Liebe zum Deutschen Expressionismus, eigenwillige Schauspieltechniken – lustvoll spielt Cage mit seinen Marotten, seinem Image und findet endlich wieder auf einer grösseren Bühne statt.

Der Sprung zurück ins Rampenlicht scheint möglich. Denn auch «Renfield» (ab dem 25.05. im Kino) greift weltweit die Kinos an – und hat, obwohl der Film zu wenig aus seiner Prämisse macht, einen Cage mit Biss zu bieten. Als machgeiler, manipulativer Dracula haut er darstellerisch alles raus, reisst jede Szene an sich. Ist es hier ein völlig zügelloser Cage, den wir bekommen, kann es beim nächsten Mal schon anders sein. In Fesseln legen lässt sich dieses Chamäleon nämlich nicht!

Trailer zu «Renfield» mit Nicolas Cage als Dracula

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