Artikel26. September 2024
Filmwissen: Francis Ford Coppola: Der Traum von maximaler künstlerischer Freiheit
Fünf Oscar-Statuen, vier Golden-Globe-Awards, zwei Goldene Palmen – und das ist längst nicht alles: Francis Ford Coppola hat in seiner Karriere viel erreicht. Schwere Rückschläge gehören aber ebenso dazu, wie auch sein über Jahrzehnte entwickeltes Herzensprojekt «Megalopolis» beweist. Wer ist dieser Filmemacher, der für seine Visionen bereit ist, alles auf eine Karte zu setzen?
Erste Karriereschritte in turbulenter Zeit
Um über 40 Jahre lang an einem Stoff festzuhalten und sich von Enttäuschungen nicht entmutigen zu lassen, braucht es Beharrlichkeit und persönliche Überzeugung. Ohne diese Eigenschaften hätte Francis Ford Coppola die Science-Fiction-Fabel «Megalopolis» nie und nimmer realisieren können. Blickt man auf das Wirken des US-amerikanischen Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten, stechen vor allem zwei wiederkehrende Muster ins Auge: das Ringen um grösstmögliche Kontrolle und die Bereitschaft, dafür komplett ins Risiko zu gehen.
Als Sohn eines Musikers und Komponisten kommt der 1939 geborene Coppola schon früh mit Kunst und ihrer Ausdruckskraft in Berührung. Aufgrund einer Polioerkrankung oft ans Haus gefesselt, entwickelt er in jungen Jahren selbstgemachte Puppentheaterstücke und findet rasch Gefallen an der Bühne. Die furiose Montagetechnik aus Sergei M. Eisensteins «Oktober» (1928) führt dem technisch begeisterten Italoamerikaner aber auch den Zauber des Kinos vor Augen. Und so verlagert sich Schritt für Schritt sein berufliches Interesse vom Theater zum Film.
Francis Ford Coppolas Anfänge fallen in eine Zeit, in der Hollywood zunehmend in Bedrängnis gerät. Mit dem Fernsehen gewinnt ein Konkurrenzmedium an Beliebtheit. Gesellschaftliche Verwerfungen werden in den 1960er-Jahren immer offensichtlicher. Doch die US-Studios versuchen es häufig weiterhin mit Eskapismus und aufwendigen Epen, die an den Kinokassen nur noch selten grosse Erfolge erzielen. Gegen Ende der Dekade dreht sich der Wind, bricht das klassische Hollywood-System auf, wird durchlässig für junge Filmemacher:innen, die mit erzählerischen Konventionen und Sehgewohnheiten spielen und ihre Werke stärker an der rauen Gegenwart orientieren. An die Stelle optimistischer Heldengeschichten treten plötzlich viele Grautöne, Filme mit einem kritischen und desillusionierenden Blick auf die sozialen Umstände. Der Beginn einer kurzen, aber kreativ produktiven Phase im US-Kino, die als «New Hollywood» bezeichnet wird.
«Der Pate» – mehr als ein Gangsterfilm
Wie viele seiner Mitstreiter:innen, etwa Martin Scorsese oder Peter Bogdanovich, gelangt Coppola über den für seine kostengünstigen Produktionen bekannten Roger Corman an seine ersten bedeutenden Jobs. Massgeblich für seinen weiteren Karriereverlauf ist seine Mitarbeit am Drehbuch zur Soldatenbiografie «Patton – Rebell in Uniform» (1970), die mit einem Oscar prämiert wird. Wohl dieser Erfolg ermöglicht es dem stets gross denkenden Coppola, den Zuschlag für die Regie zur Bestselleradaption «Der Pate» (1972) zu erhalten.
Ein Auftrag, den er ursprünglich ablehnt, da ihm die Buchvorlage zu reisserisch erscheint. Doch dann ändert er seine Meinung und weitet die Gangsterstory zu einer packenden Familiensaga und einer Erzählung über den amerikanischen Kapitalismus aus. Die Berichte von nervenaufreibenden Diskussionen mit den Studiobossen, unter anderem über die Besetzung Marlon Brandos, sind ebenso legendär wie die schauspielerischen Darbietungen und die Wucht, die das fast dreistündige Mafiaepos entfaltet. Wie wir uns das organisierte Verbrechen bis heute vorstellen, wird nicht zuletzt von «Der Pate» beeinflusst.
Dass Francis Ford Coppola mehr sein will als ein Werkzeug in Händen der Hollywood-Industrie, stellt er schon Ende der 1960er-Jahre unter Beweis, als er zusammen mit seinem Freund George Lucas die Produktions- und Verleihfirma American Zoetrope gründet. Das Ziel: Filme realisieren, die mit den Gesetzen des Mainstream-Kinos brechen, das System unterwandern und dabei selbst so viel Entscheidungsgewalt wie möglich behalten. Daneben sollen europäische Kinokünstler:innen eine Plattform in den USA bekommen. Lucas‘ wahrlich kühne Debütarbeit «THX 1138» (1971), eine beklemmende Dystopie, in der menschliche Gefühle komplett unterdrückt werden, illustriert, was ihnen vorschwebt.
Keine Angst vor Grenzerfahrungen
Bezeichnenderweise hat Coppola nach seinem kommerziellen und künstlerischen Triumph mit «Der Pate» nicht nur die nächste Prestigeproduktion im Blick, sondern verwirklicht auch den eher kleinen Paranoia-Thriller «Der Dialog» (1974). Die schon viele Jahre vorher entwickelte Geschichte eines zurückgezogen lebenden Abhörspezialisten, der über einen Auftrag in eine mörderische Intrige hineingerät, passt vortrefflich in die durch die Watergate-Affäre von wachsendem Misstrauen geprägte Entstehungszeit.
Coppolas Ambitionen, sein Streben, nicht bloss leicht konsumierbare Unterhaltung abzuliefern, zeigt sich selbst in «Der Pate – Teil II» (1974), einer der bis heute wohl besten Kinofortsetzungen. Während die weitere Reise des neuen Mafiaoberhauptes Michael Corleone und seine Vereinsamung geschildert wird, erfahren wir in ausgeklügelten Rückblenden mehr über das Vorleben und den Aufstieg seines Vaters Vito.
Will man das Phänomen Francis Ford Coppola verstehen, bietet sich vor allem ein Blick auf «Apocalypse Now» (1979) an. Ohne Rücksicht auf Verluste stürzt sich der Italoamerikaner nach dem Sequel zu «Der Pate» in die Arbeit an einem lose auf der Erzählung «Herz der Finsternis» basierenden Film über den Wahnsinn des (Vietnam)Krieges und die Destruktivität des Menschen. Ein Dreh, der seinesgleichen sucht, den der Regisseur selbst als völlig aus dem Ruder laufende Erfahrung bezeichnet. Heftige Unwetter, Neubesetzungen, der Herzinfarkt von Hauptdarsteller Martin Sheen, ein unfertiges Skript und massiv explodierende Produktionskosten verwandeln das Projekt in einen Höllentrip, dem Eleanor Coppola, Francis‘ Ehefrau, im sehenswerten Dokumentarfilm «Reise ins Herz der Finsternis» (1991) ein Denkmal setzt.
Abkehr von Hollywood
Das Bild des Leinwandkünstlers, der wie besessen an seiner Schöpfung feilt und dabei seine eigene Existenz aufs Spiel setzt, bestätigt auch sein jüngstes Werk. Über «Megalopolis» kursieren ebenfalls Berichte von chaotischen Dreharbeiten inklusive angeblicher Übergriffigkeiten durch den Regisseur (er soll Statistinnen ungefragt geküsst haben). Bereits zu Zeiten von «Apocalypse Now» hat Coppola die ersten Ideen zu einem retrofuturistischen Epos, in dem der Fall des römischen Imperiums mit dem Zustand einer modernen US-Grossstadt verknüpft wird. Viel Geld braucht es, um seine Visionen zu realisieren. Doch kein Hollywood-Studio ist bereit, Coppola für diesen Stoff mit üppigen Mitteln auszustatten. Während er mit der floppenden Musicalromanze «One from the Heart» (1982) finanziell schwer Schiffbruch erleidet, in den 1980er-Jahren aber noch fleissig weiterdreht, etwa die Teenagerfilme «The Outsiders» (1983) und «Rumble Fish» (1983), lässt ihn der «Megalopolis»-Stoff nicht los. Immer wieder schreibt Coppola neue Fassungen, bemüht sich, Geldgeber:innen zu finden.
In den 1990er-Jahren verringert sich sein Output spürbar. Und was besonders auffällt: Die nach wie vor drückenden Schulden zwingen Coppola, Studioauftragsproduktionen anzunehmen. Dass er mit «Der Pate – Teil III» (1990) ein weiteres Mal zur Mafiafamilie Corleone zurückkehrt, hängt entscheidend mit seiner schwierigen wirtschaftlichen Lage zusammen. Nach der Adaption von John Grishams Bestseller «Der Regenmacher» (1997) zieht er sich, wie er selbst sagt, vom professionellen Filmemachen zurück und begibt sich auf eine Reise des Experimentierens mit unkonventionellen Produktionen wie «Tetro» (2009) und «Twixt» (2011). Nebenbei steigt er ausserdem zu einem erfolgreichen Weinproduzenten und -händler auf.
Mit Hollywood, das durch den Superheldenboom immer stärker auf konfektionierte Franchises setzt, hat Coppola fast keine Berührungspunkte mehr. Beharrlich, wie er ist, entwickelt er die «Megalopolis»-Ideen jedoch weiter und verkauft sogar einen Teil seiner Weingüter, um das Herzensprojekt endlich zu verwirklichen. Im hohen Alter und frei von Studioeinflüssen bringt er nach über 40 Jahren den Film tatsächlich in den Kasten und hat für seinen Einsatz allen Respekt verdient. Das Epos über einen visionären Architekten, der eine nachhaltige Stadt errichten will, und einen korrupten Bürgermeister, der den rückwärtsgewandten Status quo zu erhalten versucht, verfolgt gute Absichten. Es geht um Menschlichkeit, darum, unseren Kindern eine friedliche Welt zu hinterlassen, wie Coppola in einem Spiegel-Interview hervorhebt.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass «Megalopolis» seltsam unfertig wirkt, Gedanken anreisst, sie dann fallen lässt, plumpe Humoreinlagen bemüht und mitunter in seinem eigenen Bemühen um Bedeutung erstickt. Ein Meisterwerk, wie es der Cineman-Kollege in seiner Kritik beschreibt, kann der Autor dieser Zeilen nicht erkennen. Vielmehr merkt man dem Film seine lange Entwicklungszeit an, entsteht der Eindruck, dass der kreative Kopf in all den Jahren nicht den Überblick behalten konnte. Einerseits ist es schade, dass sich die Kinolegende dieses Mal verzettelt hat. Andererseits zeichnet gerade der unbedingte Wille, ungewöhnliche Wege zu gehen, sich stets neu herauszufordern, Coppolas natürlich dennoch bemerkenswerte Karriere aus.
«Megalopolis» ist seit dem 26.09.2024 im Kino zu sehen.
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