Artikel27. April 2022

Filmtagebuch: Blick in eine andere Welt – Voyeurismus im Film

Filmtagebuch: Blick in eine andere Welt – Voyeurismus im Film
© Cinémathèque Suisse | Universal Pictures Switzerland | Elite Film

Immer mal wieder gibt es Filme, die die voyeuristische Position des Betrachters und seine Neugier explizit thematisieren, uns mit dem zwanghaften Drang, genau hinzuschauen, konfrontieren und das Verhältnis Publikum/Leinwand kritisch reflektieren. Wir stellen euch einige Werke vor, in denen die Lust am Beobachten, wissenschaftlich Skopophilie genannt, eine prominente Rolle spielt.

Christopher Diekhaus

Im Grunde bedient jeder Film die menschliche Schaulust. Das bringt schon die visuelle Prägung des Mediums mit sich. Immer dann, wenn wir ins Kino gehen, tauchen wir in eine Welt ein. Werfen einen Blick durchs Schlüsselloch auf das Leben fiktiver Figuren. Sind für rund zwei Stunden nah an ihren Erfahrungen dran. Sollen mitfiebern, uns fallen lassen und vergessen, dass wir eine künstlich erschaffene Umgebung betreten. So ist es zumindest im von Hollywood beeinflussten Mainstream.

1. «Augen der Angst» (1960)

Im Zentrum von Michael Powells Psychothriller steht der verschlossene Einzelgänger Mark Lewis (Karlheinz Böhm), der als Kameraassistent im Filmgeschäft arbeitet und ein unheimliches, durch ein Kindheitstrauma ausgelöstes Doppelleben führt. Immer wieder drängt es ihn dazu, junge Frauen, Prostituierte oder Kleindarstellerinnen, zu filmen und sie dann mit einem in seinem Stativ eingebauten Messer zu ermorden, während er ihren letzten angsterfüllten Gesichtsausdruck festhält. «Peeping Tom» (so nennt man im Englischen umgangssprachlich einen Spanner) ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Film.

Nach seiner Veröffentlichung rief die abgründige Thematik harschen Widerspruch hervor, der letztlich die Karrieren des Regisseurs und des Hauptdarstellers empfindlich beeinträchtigte. Was viele Kritiker übersahen: Powells Serienkillergeschichte, die die Kamera als Waffe begreift, ist ein Paradebeispiel für modernes selbstreflexives Kino. Die Schaulust des Publikums und des Mörders werden miteinander verbunden, wodurch zwangsläufig handfestes Unbehagen entsteht. Darüber hinaus sagt der damals skandalisierte, heute als Meilenstein gefeierte Thriller einiges über den Prozess und das Wesen des Filmemachens aus.

In gewisser Weise verhält sich Lewis, der von seinen Opfern die bestmögliche Schreckensimpression einfangen will, wie ein Regisseur, der schließlich auch darum bemüht ist, seinen Schauspielern die stärksten Empfindungen zu entlocken. Mit dem Unterschied, dass am Ende von Marks Dreh die Person vor der Kamera tatsächlich stirbt.

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2. «Funny Games» (1997)

© Cinémathèque Suisse

Seit seinen Anfängen polarisiert der Österreicher Michael Haneke mit seinen Filmen, denen oft ein didaktischer Gestus anhaftet. Auch «Funny Games» sorgte nach der Uraufführung in Cannes für allerhand Diskussionen. Erzählt wird darin von einer Kleinfamilie (Susanne Lothar, Ulrich Mühe und Stefan Clapczynski), die in ihrem Ferienhaus plötzlich zwei jungen Männern (Arno Frisch und Frank Giering) gegenübersteht, die schnell ein sadistisches Katz-und-Maus-Spiel lostreten. Oberflächlich betrachtet folgt der Thriller den Mustern des Home-Invasion-Kinos, einem Spannungssubgenre, in dem Menschen in ihren eigenen vier Wänden überfallen werden und um ihr Leben kämpfen müssen.

Haneke zielt allerdings nicht auf grösstmöglichen Nervenkitzel ab, sondern will den Zuschauer mit seiner eigenen voyeuristischen Lust an der Gewalt, seiner Komplizenschaft konfrontieren. Immer wieder durchbricht der Film die vierte Wand und löst damit den Illusionsrahmen auf. Etwa, wenn die Täter in die Kamera zwinkern oder sich direkt mit einer Frage («Sie wollen doch auch wissen, wie es weitergeht, oder?») an uns wenden.

In einer Szene spult einer der beiden Eindringlinge sogar das Geschehen zurück, um den Tod seines Kompagnons ungeschehen zu machen. In seiner drastischen, aber lakonischen Gewaltdarstellung ist «Funny Games» eine radikale Antwort auf all jene Arbeiten, die blutige Eskalationen als Unterhaltung aufbereiten. Nicht ganz unbegründet sind freilich die Vorwürfe an Haneke, er schwinge den erhobenen Zeigefinger etwas zu vehement und er halte sich für deutlich schlauer als sein Publikum. Fest steht jedoch zweifelsohne: Kalt lässt einen dieser herausfordernde, schmerzhafte Film keineswegs.

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3. «Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis» (2014)

Wie ein hungriges Tier schleicht der vampirhafte Kriminelle Louis Bloom (Jake Gyllenhaal) durch die Nächte von L. A. und träumt von einer steilen Karriere, für die er fleissig Business-Plattitüden auswendig lernt. Als er einem Kameramann (Bill Paxton) begegnet, der als selbstständiger Unternehmer aufsehenerregende Bilder für Nachrichtenprogramme liefert, hat Louis seinen Weg gefunden. Kurzerhand besorgt er sich eigenes technisches Equipment und macht sich auf die Suche nach den schrecklichsten Unfällen und Verbrechen. Um richtig durchzustarten, hilft er zur Not schon bald selbst nach.

Mit seinem Regiedebüt «Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis» legte Drehbuchautor Dan Gilroy einen fiebrigen, düster-funkelnden Grossstadtthriller in der Tradition von Klassikern wie Martin Scorseses «Taxi Driver» (1976) vor. Sein Film ist einerseits das Porträt eines von Gyllenhaal beängstigend intensiv verkörperten Soziopathen, der sich seinen amerikanischen Traum auf pervertierte Weise erfüllt.

Daneben wirft die atmosphärisch fotografierte Arbeit auch einen Blick auf die Sensationsgier der Newsmedien und ihrer Konsumenten. Sind wir nicht selbst dafür verantwortlich, dass manche Sender und Formate immer blutigere und schockierendere Aufnahmen zeigen? Sehnen wir uns nicht ständig nach dem nächsten Kick? Diesen unbequemen Fragen muss man nach der Sichtung von «Nightcrawler» auf jeden Fall ins Auge sehen.

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