Kritik22. Oktober 2020

«Cortex» Filmkritik: Kein bisschen einschläfernd

«Cortex» Filmkritik: Kein bisschen einschläfernd
© Warner Brothers Switzerland

Mut zum Risiko beweist der deutsche Schauspielstar Moritz Bleibtreu in seinem Debüt als Regisseur und Drehbuchautor. Mit «Cortex» legt er einen kleinen, feinen Psychothriller vor, der unverkennbar auf den Spuren von Kinogrössen wie David Lynch und Christopher Nolan wandelt, sich aber ausreichend Eigenständigkeit bewahrt.

Filmkritik von Christopher Diekhaus

Nachts, wenn wir schlafen gehen, greifen unheimliche Kräfte ineinander. Kräfte, die sich unserer Kontrolle entziehen. Unerklärliches und Verstörendes dringt plötzlich an die Oberfläche und hinterlässt manchmal auch nach dem Aufwachen ein mulmiges Gefühl. Die Welt der Träume ist faszinierend und beunruhigend zugleich. Der perfekte Stoff also für einen Spannungsfilm, der tief in die Seele blickt. In seinem Regiedebüt greift Moritz Bleibtreu ein vertrautes Thriller-Motiv auf und entwickelt aus ihm einen labyrinthisch-unheilvollen Trip, der Zuschauer mit einer Vorliebe für surreale Stimmungen gefangen nehmen dürfte. Wer dagegen im Kino alles haarklein aufgedröselt haben möchte, ist hier definitiv fehl am Platz.

© Warner Brothers Switzerland

Fast wie ein Zombie wandelt der Supermarktwachmann Hagen (verkörpert von Bleibtreu selbst) seit einiger Zeit durch sein Leben. Verwirrende nächtliche Träume rauben ihm so viel Energie, dass er tagsüber regelmässig wegdämmert. Seine schlechte Verfassung bereitet seiner Ehefrau Karoline (Nadja Uhl) große Sorgen. Und doch meint Hagen, dass irgendwie schon alles gut werde. Als er einen jungen Mann namens Niko (Jannis Niewöhner), der auch in seinen Träumen auftaucht, bei der Arbeit zu sehen glaubt, geht es allerdings weiter bergab. Was verbindet ihn mit dem Kleinkriminellen? Und hat dieser Niko tatsächlich eine Affäre mit Karoline? Realität und Einbildung verschwimmen immer mehr.

«Cortex» erzeugt einen abgründigen Sog und macht Lust auf mehrmaliges Schauen.– Cineman-Filmkritiker Christopher Diekhaus

Mit seiner schwer fassbaren Traumlogik und seiner die Chronologie durcheinanderwirbelnden Erzählweise erinnert «Cortex» unweigerlich an David Lynchs rätselhafte Noir-Hommage «Lost Highway» und Christopher Nolans High-Concept-Blockbuster «Inception». Sowohl formal als auch inhaltlich findet Bleibtreu aber einen eigenen Weg, um das Publikum zu fordern und zu fesseln. Auch wenn nach der ersten Sichtung wahrscheinlich manche Fragen offen bleiben, schlägt einen die stets etwas entrückt wirkende Atmosphäre in den Bann.

Der beängstigende Dämmerzustand, der von Hagen Besitz ergriffen hat, und seine wachsende Paranoia vermitteln sich sehr eindringlich, da der Regisseur alle möglichen filmischen Register zieht. Grauenhafte Spiegelbilder, eine seltsam bedrückende Blaufärbung in vielen Szenen, das Spiel mit verzerrten Tönen, fragmentierte Einstellungen, die auf eine brüchige Persönlichkeit hindeuten könnten, und eine Melancholie beschwörende Musikauswahl – Bleibtreu hat offenkundig Gespür dafür, wie man konstante Verunsicherung produziert.

Dass er in seinem Streben nach einer anspruchsvollen Thriller-Erfahrung manchmal zu viel will, verzeiht man dem Regie- und Drehbuchnovizen gerne. «Cortex» erzeugt einen abgründigen Sog und macht Lust auf mehrmaliges Schauen, um den Tanz zwischen Traum und Wirklichkeit besser zu verstehen. Was will man von einem Debütwerk mehr erwarten?!

4 von 5 ★

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