Kritik11. Dezember 2020

Amazon-Prime-Kritik «The Wilds»: Unerwartet anders

Amazon-Prime-Kritik «The Wilds»: Unerwartet anders
© Amazon Prime

Hört man die Prämisse von «The Wilds», dann denkt man zuerst an eine Mixtur aus «Lost» und «Der Herr der Fliegen», aber mit einem feministischen Blickwinkel. Im Grunde wird die Serie, die sich an junge Erwachsene richtet, aber originär ist und auf keiner Buchvorlage basiert, auch so vermarktet. Aber «The Wilds» ist weit mehr als das – und weit mehr als die offensichtlichen Ähnlichkeiten mit «Lost», die sich letztlich darauf beschränken, dass die Hintergrundgeschichte der einzelnen Figuren mit Rückblicken beleuchtet wird.

Eine Gruppe Mädchen ist in einem luxuriösen Flugzeug unterwegs. Sie wollen alle zu «Dawn of Eve», eine Organisation, die nur Mädchen behandelt. Solche, die Probleme haben und den richtigen Weg finden müssen. Aber das Flugzeug stürzt ab und die Mädchen landen allesamt auf einer Insel. Anfangs hoffen sie noch auf schnelle Rettung, dann wird ihnen klar, dass sie etwas tun müssen, um ihr Überleben zu sichern. Doch damit nicht genug: Es gibt auch ein Mysterium zu lösen.

Es geht um das Mysterium. Als Zuschauer will man wissen, was es mit «Dawn of Eve» auf sich hat und wieso die Mädchen auf die Insel gekommen sind, aber das ist längst nicht alles, was den Zuschauer bei der Stange hält. Es ist vielmehr auch die Tatsache, dass dies eine Geschichte ist, die sich mit mentalen Traumata befasst – und zwar solchen, die schon existierten, bevor die Mädchen auf die Insel gekommen sind. In praktisch jeder Folge gibt es einen Moment, der eine der Figuren durch den emotionalen Fleischwolf dreht. Das ist intensiv, auch und gerade für den Zuschauer. Das macht die Serie umso eindringlicher, wenn man im Zuge von Binge-Viewing gleich alle zehn Folgen in kurzem Zeitraum verschlingt. Weil es eine Gefühlsachterbahn ist, nach der man tief durchatmen muss.

Die durch die Bank eher unbekannten Schauspielerinnen spielen sich hier die Seele aus dem Leib.– Cineman-Filmkritiker Peter Osteried

© Amazon Prime

Wirkt die Serie so, als wäre sie typische Teenie-Kost á la «The 100» oder ähnliche Stoffe, wird sehr schnell klar, dass diese Show weit mehr zu bieten hat. Sie hat die Komplexität und die Wirkkraft von Serien, die heutzutage unter dem Sammelbegriff «Peak TV» – also Spitzen-Fernsehen – zusammengefasst werden. Das ist umso erstaunlicher, weil die Schöpferin Sarah Streicher zuvor nicht viel gemacht hat. Sie schrieb eine Folge von «Daredevil», mit ihrer eigenen Serie hat sie nun aber den kreativen Jackpot geknackt. Weil die Figuren, die in der ersten Folge noch wie die gängigen Stereotypen einer solchen Geschichte wirken, unglaublich vielseitig sind. Die durch die Bank eher unbekannten Schauspielerinnen – für manche ist es gar das Debüt – spielen sich hier die Seele aus dem Leib.

Eine echte, kleine Perle.– Cineman-Filmkritiker Peter Osteried

«The Wilds» schafft das Kunststück, Versatzstücke bekannter Geschichten zu nehmen, aber etwas ganz Eigenes zu erschaffen, das auch darüber hinaus geht, wie die Serie beworben wurde. Eine echte, kleine Perle.

4 von 5 ★

«The Wilds» ist ab sofort auf Amazon Prime verfügbar.

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