Einfach das Ende der Welt Kanada, Frankreich 2016 – 97min.

Filmkritik

Juste la fin du monde

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Was lässt man auf ein überwältigendes Meisterwerk folgen? Im Falle von Xavier Dolan, der vor zwei Jahren mit Mommy für noch mehr Furore sorgte als mit den vier vorangegangenen Filmen, auf jeden Fall einmal mehr etwas ganz Neues. Juste la fin du monde ist nach Tom à la ferme der zweite Film des gerne als "Regie-Wunderkind" bezeichneten, immer noch erst 27-jährigen Kanadiers, der nicht auf einer eigenen Idee, sondern einem Theaterstück basiert. In diesem Fall das gleichnamige Werk des Franzosen Jean-Luc Lagarce aus dem Jahre 1990.

Nach 12 Jahren Abwesenheit und nur vereinzelten Postkarten kehrt der junge Schriftsteller Louis (Gaspard Ulliel) zu seiner Familie in der Provinz zurück, um seinen bevorstehenden Tod zu verkünden. In jeder Hinsicht kein leichter oder erfreulicher Besuch. Und die Tatsache, dass von seiner exaltierten Mutter (Nathalie Baye im schrillen Diva-Modus) und der jüngeren Schwester Suzanne (Léa Seydoux) bis hin zum aufbrausenden Bruder Antoine (Vincent Cassel) und dessen Louis' noch unbekannter Frau Catherine (Marion Cotillard, dieser Tage auch in Allied und Assassin's Creed im Kino zu sehen) alle mindestens so sehr mit ihren eigenen Befindlichkeiten beschäftigt sind, wie der 34-jährige selbst, macht die Sache keinen Deut leichter.

Obwohl Theater-Autor Lagarce selbst HIV-positiv war, betont Dolan in Interviews, dass er Juste la fin du monde auf keinen Fall als Film über Aids verstanden wissen will. Wann und woran sein Protagonist sterben wird, ist vielmehr nur eine von vielen Wahrheiten, die dem Zuschauer hier vorenthalten werden. Die vielen offenen Fragen sorgen im Kino für ein hohes Maß an Irritation, und das bisweilen wenig nachvollziehbare, nicht selten hyper-emotionale Verhalten sämtlicher fünf Protagonisten kann einen mitunter durchaus in den Wahnsinn treiben.

Doch wie der Regisseur aus all den unausgesprochenen Verletzungen und Konflikten mit seinen liebsten Stilmitteln wie kontrastreichen Farben, Ultra-Nahaufnahmen und knalligen Pop-Songs ein klaustrophobisch-überhitztes Familienporträt macht, lässt zumindest nie kalt. Gerade weil sich Beklemmung und Verkrampfung aufs Publikum übertragen, werden sie auf ungewöhnliche und reizvolle Weise greifbar. Dass das nicht jedermanns Geschmack ist, versteht sich von selbst, und tatsächlich spaltet Juste la fin du monde sein Publikum. Zur Weltpremiere in Cannes etwa gab es hämische Kritiken und Buhrufe, aber wenige Tage später auch den Großen Preis der Jury. Doch gerade dass sich Dolan traut, zu überraschen und vor den Kopf zu stoßen, macht ihn zu einem so ungewöhnlichen und spannenden Regisseur. Dass er 2017 mit seinem englischsprachigen Debüt The Death and Life of John F. Donovan schon den nächsten Film in die Kinos bringt, ist also Grund zu großer Vorfreude.

25.11.2020

4

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Kommentare

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julianne

vor 7 Jahren

Absolut sensationell das Drama einer Familie!!!! Und dieses Meisterwerk zeigt auf perfekte Weise was das Problem der Menschheit ist sie reden aneinander vorbei!! Dazu noch sensationelle Darsteller und soundrack vom Oscar Gewinner Gabriel yared!!! Und lieber Elowan keine Story hast du den Film wirklich gesehen?? Der Film hat eine Wahnsinns Story zeigt genau wie es heute läuft!!!!!Mehr anzeigen


Elowan

vor 7 Jahren

Sehr gut gemachter Film. Hat mich auch berührt! Aber es hat keine Story! Der Film bleibt sozusagen am Anfang stecken und es entwickelt sich nichts. Schade, es gäbe nämlich viele Chancen. Am Schluss bleibt nur das ewige Geschrei und ein paar sehr berührende Aufnahmen. Das ist mir zuwenig, um eine Empfehlung auszusprechen. Deshalb nur 2 Sterne.Mehr anzeigen


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