Seefeuer Frankreich, Italien 2016 – 107min.

Filmkritik

Zwei Normalitäten

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

Auf der Berlinale 2016 wurde Fuocoammare mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Gianfranco Rosis Werk hat diese Ehrung verdient, da es weit mehr ist als eine Dokumentation oder ein Dokudrama. Es bedient sich auch nicht emotionsheischender Schrillheit, um einen Punkt zu machen. Stattdessen setzt Rosi auf das Subtile, das dafür umso stärker nachwirkt.

Es ist die scheinbare Normalität, die hier im Mittelpunkt steht. So zeigt Gianfranco Rosi zwar, wie die Flüchtlinge in Lampedusa ankommen, welche Mühsal sie auf sich nehmen und welche Hoffnungen sie haben, er kontrastiert dies jedoch durch das ganz normale Leben auf dieser kleinen Insel im Mittelmeer. Exemplarisch ist dabei der zwölfjährige Samuele, der hier aufwächst und als Prisma dient, durch das der Zuschauer an diese Thematik herangeführt wird. Rosi arbeitet dabei sehr metaphorisch, wenn er Samuele mit einem Freund mit einer Steinschleuder auf Kakteen schießen lässt, in die Gesichter geschnitzt sind. Oder wenn eine Dysfunktion des linken Auges bei dem Jungen festgestellt wird. Abwehrreflexe und das Unvermögen zu sehen – das kann man auch auf Europa ummünzen.

Rosi spart nicht mit drastischen Bildern, wenn er zeigt, wie erschöpfte, aber auch tote Menschen aus den kleinen Booten geborgen werden, die vor Lampedusa gefunden werden. Aber er lässt die Menschen, die auf Lampedusa leben, nicht darüber reden. Nur einmal kommt ein Arzt zu Wort, der eine simple Wahrheit ausspricht: Wer dieses Elend sieht und nicht helfen will, der ist kein Mensch.

Ansonsten lässt Rosi die Bilder, aber auch die Momente wirken, wenn er die Normalität des Lebens auf diesem Steinhaufen mitten im Mittelmeer mit der Flüchtlingskrise kontrastiert. Rosi ist damit ein mächtiger Film gelungen, der sich wohltuend von anderen Stoffen abhebt, die sich mit der Flüchtlingskrise befassen. Indem er den Zuschauer selbst erkennen lässt, was er ihm zu zeigen bereit ist, ist er weit wirkungsvoller als es jeder narrative Film sein könnte. Das ist auch die eigentliche Stärke von Fuocoammare (Seefeuer), dessen Titel auf einem sizilianischen Schlager basiert. Er gibt ein Gefühl dafür, welch Leid diese Menschen durchlaufen haben, um dorthin zu kommen, wo sie sind – ein Auffanglager in Lampedusa.

Rosi konzentriert sich dabei nicht auf Einzelschicksale, sondern zeigt vielmehr imposant, dass kein Europäer wirklich verstehen kann, was diese Menschen durchgemacht haben. Weil die Lebensrealitäten eben so unterschiedlich sind. Gerade darum ist es aber auch so wichtig, dass Filme wie diese daran erinnern.

14.09.2016

4

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