CH.FILM

Europe, She Loves Deutschland, Schweiz 2016 – 100min.

Filmkritik

Menschen am Rande

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Mit dem Film Chrigu (2007) hat der Zürcher Jan Gassmann einen Mann begleitet, der um sein Leben kämpft. Nun widmet er seine Aufmerksamkeit vier jungen Paaren am Rande Europas – sehr intim und doch distanziert. Gassmann zeichnet bisweilen recht sprunghaft ein Bild Europas aus persönlicher Sicht, wo weder Personenfreizügigkeit noch Exil, Religion oder Politik eine entscheidende Rolle spielen.

Sie sind Menschen am Rande – gesellschaftlich wie auch rein geografisch, europäisch gesehen. Man hält sich so knapp über Wasser, klammert sich an die Beziehung, an die Liebe, die auch schon mal bröckelt. Penny und Niko leben in Thessaloniki, Griechenland. Er macht schon mal den Langfinger, sie nimmt an Demonstrationen teil. Das irische Junkie-Pärchen Siobhan und Terry snifft, hängt am Heroin, holt sich eine Mütze voll Dunst und lässt sich treiben. Veronika und Harri aus Tallinn, Estland, bilden eine Patchwork-Familie. Sie lebt mit ihrem Sohn aus einer früheren Beziehung und Partner Harri zusammen, tanzt nachts als Gogo-Girl, um Geld reinzubringen. Karo und Juan in Andalusien (Sevilla) kuscheln, lieben, streiten auch mal, aber haben sich vor allem lieb. Eigentlich hat nur eine eine Perspektive und will aus den Verhältnissen ausbrechen: Penny plant, nach Italien zu ziehen, um dort einen Job zu finden.

Trotz teilweise schöner Sichten und malerischen Momenten, trotz Sex- und Kuschelszenen ist die Situation trist, sind die Aussichten eher trübe (Kamera: Ramon Giger). Jan Gassmanns Paar-Panorama (inklusive anmächlerischen Landschaften) ist eigenwillig, individuell, will wohl die Befindlichkeit, die Beziehungen einer jungen europäischen Generation wiederspiegeln. Allein man hat lange Mühe, die Paare zuzuordnen, ihren Lebensraum zu erfassen. So sind denn die Städte meistens Staffage, Hintergrund. Auch finden sich keine Verknüpfungen, Schnittlinien oder Berührungspunkte der Paare. Wenn man einen gemeinsamen Nenner sucht, findet man ihn vielleicht in der Liebe, aber auch in der Beziehungslosigkeit der Beziehungen, dem Vagen, Verlorenen, Ungewissen. Der Titel Europe, She Loves ist verwirrend, bleibt Andeutung, wird aber nicht eingelöst. Liebt Penny Europa und versucht ihr Glück in Italien? Was verbindet Karo und Juan mit Europa, was die Liebenden von Tallinn? Filmautor Gassmann lässt vieles vielleicht bewusst offen. Sicher ein anregender, aber auch ein schwer fassbarer, flatterhafter Film, bei dem man das Gefühl nicht los wird, als wären manche Liebesszenen inszeniert, zumindest abgesprochen. Sein Kunstprodukt wurde 2015 vom gemeinnützigen Verein zur Filmförderung in der Schweiz mit 75'000 Franken unterstützt, getragen von Karl Spoerri und Nadja Schildknecht (ZFF), Marc Walder und anderen. Und das ist gut so, auch wenn Europa zur Zeit weniger Anhänger findet.

10.04.2024

3

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Kommentare

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laperra

vor 7 Jahren

Intense!


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