20000 Days on Earth Grossbritannien 2014 – 95min.

Filmkritik

Die Kunst atmen sehen

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Die von Künstlern am meisten gehasste Frage bei Interviews ist die, woher man denn ständig "all diese tollen Ideen nehme". Zu Recht, denn wie soll man so eine flüchtig-freie Kraft wie die Kreativität in alltagstaugliche Abläufe pressen? Aber natürlich ist es schwer nachvollziehbar, wie sich scheinbar aus dem Nichts plötzlich ein Kunstwerk materialisiert. Dem Künstler bei der Arbeit zuzusehen, das übt noch immer eine ungebrochene Faszination aus.

Nick Cave gehört zu der oberen Liga des Rock'n'Roll-Business. Den meisten ist er wohl durch sein Duett "Where the Wild Roses grow" mit Pop-Prinzessin Kylie Minogue aus dem Jahr 1996 bekannt, doch der schlacksige Australier mit dem Hang zur Düsternis blickt auf ein weitaus umfassendere und vielschichtigere Karriere zurück: Seit über 35 Jahren macht er Musik und gehört zu den einflussreichsten Künstlern seiner Riege.

Das Regie-Duo Iain Forsyth und Jane Pollard versuchen sich mit 20,000 Days on Earth dem Künstler und Menschen Nick Cave zu nähern. Doch anstelle eines lediglich beobachtenden Biopics haben die beiden einen kongenialen Film über Caves Kunst, Kreativität und Lebenslauf gedreht, in dem Realität und Fiktion miteinander verschmelzen.

Der Film erzählt vom 20'000. Tag von Nick Cave auf der Erde. Von Morgens bis Abends begleitet ihn die Kamera, wie er an seinem neuen Album arbeitet, wie er zur Therapie geht und sich mit alten Weggenossen trifft. Die einzelnen Szenen sind dabei weniger dokumentarische Momentaufnahmen, sondern perfekt inszenierte visuelle Kompositionen.

So tauchen während Caves Fahrten zwischen den Terminen plötzlich alte Kollegen (z. B. Blixa Bargeld) wie Geister aus der Vergangenheit in seinem Wagen auf, mit denen er sich an alte Zeiten erinnert. Solche Situationen sind natürlich bewusst inszeniert, aber in welche Richtung sich das Gespräch entwickelt, war vorher wiederum nicht abgesprochen. Und so bekommt man Einblicke in Caves Gedanken, die – wie bei den meisten Künstler, die aus der "düsteren Ecke" kommen – gar nicht so morbide sind, sondern wunderbar rege, lebensfroh und von einem schrägen Humor geprägt.

Forsyth und Pollard wissen um die Unnahbarkeit an einen kreativen Geist und versuchen ihm daher auf Augenhöhe zu begegnen. So ist 20,000 Days on Earth selbst zu einem Kunstwerk geworden: Mit grandiosen Bildern und Mut zur Fiktionalisierung nähert sich das Regie-Duo Nick Cave, ohne dabei Fantum zu betreiben. Vielmehr nehmen sie den somnambulen Rhythmus von Caves Musik auf und verdichten ihn zu einem wabernden, schummrig-poetischem Kaleidoskop des Lebens einer schillernden Existenz. Ein Film, der nicht nur etwas für Fans ist, sondern gerade jedem ans Herz gelegt sei, der sich von der Kraft der Kunst verzaubern lassen möchte. Wie viel davon authentisch ist, ist egal, denn in diesem selbst geschaffenen Kosmos wird alles zu Realität.

19.02.2024

5

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Kommentare

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G*L*N*F

vor 9 Jahren

Das ungewöhnliche Portrait von Nik Cave gelingt nicht durchgehend in der selben Präzision und Raffinesse. Ein paar eingestreute Witze sind unnötig und Blixa Bargeld und Kylie Minogue wirken bei ihren Kurzauftritten leicht neben den Schuhen. Vielleicht stören sie aber auch nur, weil sie den von Nick Cave schon umwerfend toll formulierten Gedankenfluss unterbrechen. Was Cave mit Worten, reflektierter Selbstdarstellung und einem umwerfenden guten Filmsoundtrack (neben seiner bekannten Musik) anstellt ist schon, ähm, genial. Ich bin knapp davor nochmals zu gehen.Mehr anzeigen


weinberg10

vor 9 Jahren

Ein wildes Leben eines wilden Typs. Auch eine Milieustudie einer vergangenen Zeit.


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