Interview

Anatole Taubman: «Beim Rauchen durchgefallen»

Stefan Gubser
Interview: Stefan Gubser

Die Welt kennt ihn als den Schweizer «Bond»-Bösewicht – in «Akte Grüninger» spielt er einen Schweizer, der Gutes tat: Anatole Taubman über Bildungslücken, Bürgerpflicht und Pfeifen.

Anatole Taubman: «Beim Rauchen durchgefallen»

Akte Grüninger – das ist auch ein Film, in dem das viel geschmähte St. Gallerdeutsch eine Hauptrolle spielt. Wie viele Walter-Roderer-Filme haben Sie sich angeschaut, um den Dialekt so akzentfrei hinzukriegen?

(lacht) Ich habe ein paar Schweizer Filme geschaut, aber ich kann mich nicht mehr an die Titel erinnern. Darunter war auch einer mit Walter Roderer. Tatsache ist: Ich kann fünf Sprachen fliessend. Ich kann jeden europäischen Dialekt glaubhaft aufs Englische packen. Aber mit Schweizer Dialekten tue ich mich schwer. Ich weiss nicht, warum. Ich war ja auch im Gespräch, beim Verdingbub mitzuspielen. Aber ich beendete rasch den Fortlauf, weil ich keinen glaubhaften Berner Akzent hinkriegen würde.

Wie oft brannte eigentlich die Pfeife, die Sie die ganze Zeit im Mund haben?

Mann, was drücken Sie da auf die wunden Punkte! (lacht) Neben dem Dialekt war das meine zweitgrösste Herausforderung. Ich würde sagen: Den Dialekt habe ich mehr oder weniger sauber geschafft – aber beim Pfeiferauchen bin ich durchgefallen. Alain Gsponer wird sich in Zukunft sehr genau überlegen, ob je wieder eine Figur bei ihm Pfeife raucht. Es ist sicherlich eine Kunst, Pfeife zu rauchen und dass sie auch immer schön brennt.

Sie sollen Paul Grüninger nicht gekannt haben, bevor Sie das Drehbuch gelesen hatten. Sagt das eher etwas über Ihre Bildungslücken aus oder über die Art, wie die Schweiz mit ihrer Geschichte umgeht?

Ich habe meine ganze Schulzeit in der Schweiz verbracht, und Geschichte war immer eines meiner Lieblingsfächer. Aber die Position der Schweiz im 2. Weltkrieg haben wir in der Schule nicht mal ansatzweise gestreift. War nie ein Thema. Dass ich also Paul Grüninger nicht kannte, hat weniger mit mir zu tun als mit dem Schulsystem, mit der Erziehung. Und das ist heute nicht viel besser. Meinst du Paul Kalkbrenner? Nein, das ist ein DJ! Aufarbeitung ist wichtig, finde ich. Bürgerpflicht!

Elvis, Ihrem Bond-Bösewicht aus Quantum of Solace, haben Sie eine 20-seitige Biographie angedichtet.

Es waren 16 Seiten.

In Akte Grüninger nun spielen Sie eine historische Figur – Sidney Dreifuss, den Vater von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss: Wie viel dichterische Freiheit nehmen Sie sich als jemand, den es tatsächlich gab?

Ich sehe mich als Architekten. Als Architekt kann ich ein Haus bauen, in dem Fall das Dreifuss-Haus, mein anatolisches Dreifuss-Haus, das ich dann so echt wie möglich zu bewohnen versuche. Für das Haus brauche ich Baupläne. Ein Bauplan ist das Drehbuch, Sekundärliteratur, sind Dokumentarfilme und Gespräche mit dem Regisseur. Ich möchte eine Figur einfach spüren und verstehen. Ich will wissen, wie sie tickt, wie ihre Kindheit war, warum jemand zu dem wurde, der er ist. Das ist meine Pflicht gegenüber einer Figur – oder als Architekt gegenüber dem Haus. Die Biographie fällt bei einer historischen Figur weg, dafür suche ich das Gespräch mit den Hinterbliebenen. Ich war sechs Stunden im Hause von Ruth Dreifuss und ihrem Bruder Jean-Jacques – das war der Wahnsinn.

Sie stammen selbst aus einer jüdischen Familie, drei Ihrer vier Grosseltern starben im KZ. Sprach man bei Ihnen zu Hause über den Horror des Holocaust?

Das war kein Thema, weil ich mit 5 in ein Heim gekommen bin. Mein Vater war und ist bis heute der jüngste erste Geiger, den die Berliner Philharmoniker je hatten. Er hat – wahre Geschichte – Deutschland nur wegen des Pförtners rechtzeitig verlassen, der ihm sagte: «Herr Taubman, sehen Sie denn nicht, was um Sie abgeht? Sie sind ja blind, Sie Künstler!» 1938 ging er nach England, nach dem Krieg landete er in Wien, er wurde Manager seiner jüdischen Musiker-Amigos, von Yehudi Menuhin, György Ligety oder Leonard Bernstein – den Cracks. Ich wurde mit meiner jüdischen Geschichte zum ersten Mal mit 13 konfrontiert, und zwar unter der Dusche beim Fussball. Da sagte einer: «Hey, du bist ja Jude!» Ich ging heim zu Mama, da hat sie mir ein paar Dinge erzählt. Sie hat deutschen Boden nie betreten, und hat mir, bevor sie Alzheimer bekam, sie bei jedem Telefon gesagt: «Warum lebst du in Deutschland? Dein Vater würde sich im Grab umdrehen. Geh nach Israel!»

Es hat allerdings lange gedauert, bis Sie sich in Deutschland wohl gefühlt haben.

Als ich jung war, hier in Zürich, waren die Deutschen unser Feindbild. Ich war aber auch schwerst infiltriert von meiner Mutter. Es hat sicher fünf Jahre gebraucht, bis ich mit den Deutschen Frieden geschlossen habe. Das war nicht ihr, sondern mein Problem.

Haben Sie jetzt umgekehrt Schwierigkeiten mit den Schweizern?

Der Deutschschweizer, vor allem der Städter, ist sehr harmonisch, nicht aneckend, zurückhaltend, konfliktscheu, alles wird ein bisschen unter den Teppich gekehrt. Es gibt ein paar Galionsfiguren. Ein Blocher hat eine Meinung, die er auch kundtut. Oder ein Paul Rechsteiner. Es geht aber auch vielen zu gut hier.

Der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger rettete kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges Hunderten von Juden das Leben, indem er die nach damaligem Recht illegalen Einwanderer in der Schweiz aufnahm – Sidney Dreifuss, Büroleiter der Israelitischen Flüchtlingshilfe, half beim Fälschen der Einreisedaten mit: Wie steht es um die Zivilcourage des Anatole Taubman?

Ich versuche seit einigen Jahren, sehr bewusst nach zwei Grundsätzen zu leben. «Principles above personalities». Und «Character above ideology». Ein Jihadist kann an was auch immer glauben – das kann aber trotzdem ein guter Typ sein. Wie ich damals reagiert hätte? Keine Ahnung. Rettet man seine eigene Haut oder die von anderen Menschen? Kann ich nicht sagen.

Können Sie sagen, wie Ihre Karriere ohne James Bond verlaufen wäre?

Ich könnte auch ohne Bond von meinem Beruf leben, ich hatte mich ja schon vorher etabliert. Mein Elvis war eine Tapete, aber eine farbenfrohe Tapete – man vergisst ihn nicht, und das war mir wichtig. Der Haarschnitt hat geholfen, das schweizerdeutsche Telefongespräch mit meiner Mutter, das hilft.

«Mami, jetzt isch grad nöd günschtig.» Was der Satz eigentlich Ihre Idee?

Koproduktion, aber auf dem Set entstanden. Im Drehbuch steht nur: «Elvis is on the phone.» Ich schlug vor: «Lass mich doch mit meiner Mutter telefonieren!» Sagten Mathieu Amalric und Marc Forster: «Lass ihn doch auf Schweizerdeutsch telefonieren?» Marc dann: «Superidee.» Koproduktion also. Mit einem Bond wirst du auf einer Weltplattform präsentiert – ich bin nach Bond schon an anderen Orten in Projekte eingestiegen. Komme oft bei der letzten Castingrunde rein oder kriege direkt ein Angebot. Aber man wird natürlich auch stigmatisiert, vor allem in einem Land wie der Schweiz.

Und man wird über Nacht zum Cervelat-Prominenten. Ist eher in einer «20 Minuten» ein Thema als in den «Cahiers du Cinema»?

Das gehört einfach zum Beruf dazu. Da muss man eine Haltung dazu finden. Das hat bei mir ein bisschen gedauert, aber mittlerweile habe ich diese Haltung. Ich zitiere jetzt Shakespeare, der sagt in «Hamlet»: «This above all: to thine own self be true.» Sei dir einfach selber treu. Grosser Satz, wichtiger Satz. Kriege ich jeden Tag alles auf die Reihe? Nein. Will ich etwas Grosses erreichen? Oh ja!

Wann haben Sie gewusst, dass Sie das Zeug zum Schauspieler haben?

Schwere Kindheit, Heimkind: Ich musste irgendwann gemerkt haben, wenn ich spiele, wenn ich rede, dann bringe ich die Anderen zum Lachen und kriege dafür die Liebe, die ich im Elternhaus nicht bekommen habe. Ein wichtiger Moment war, als ich mit 16 im Internat die Hauptrolle im «Kaufmann von Venedig» spielte, einen bösen, zornigen und bitteren 80-jährigen Juden. Ich wusste plötzlich: Wenn man mir den Shylock glaubt, dann glaubt man ja auch mir, der den Shylock spielt, dann nehmen sie mich auch ernst, die Menschen. Aber: Bei einem Künstlerberuf ist vor allem das Commitment wichtig. Wie Kokoschka sagte: «Talent? Talent haben Tausende. Auf den Durchhaltewillen kommt's an.»

Und den hatten Sie immer?

Ich habe meine Schauspielerei nie in Frage gestellt. Aber mein Karrieregang war auch kein Fahrstuhl, sondern ein Treppengang.

5. Februar 2014

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