Shame Grossbritannien 2011 – 99min.

Filmkritik

Heiße Nummern, kaltes Herz

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Der britische Hunger-Künstler Steve McQueen beeindruckt auch mit seinem Spielfilm über einen sexsüchtigen New Yorker Geschäftsmann. Das liegt auch an der eisigen Kälte der Bilder. Aber vor allem an Michael Fassbender, der Shame zum Ereignis macht.

Brandon (Michael Fassbender) hat auf den ersten Blick allen Grund zur Zufriedenheit. Er ist attraktiv, hat einen Schlag bei den Frauen und einen guten bezahlten Job samt luxuriösem Apartment in New York. Dem Glück allerdings steht seine Sexsucht im Weg; echte zwischenmenschliche Beziehungen, die mit Nähe und Verbindlichkeiten einhergehen, haben keinen Platz in seinem Leben, zwischen Bar-Bekanntschaften, Edel-Callgirls und Masturbation.

Erklären zu wollen, warum Brandon so tickt wie er tickt - das wäre womöglich zu viel verlangt für einen Spielfilm, der von einem so klugen Regisseur wie Steve McQueen (Hunger) inszeniert wurde und simplifizierende Schnellschüsse eigentlich zu vermeiden sucht. Und tatsächlich versucht es Shame gar nicht erst. Selbst als irgendwann ungebetener Besuch in Form von Brandons Schwester Sissy (Carey Mulligan) vor der Tür steht, vertraut der Film der Kraft des Andeutungshaften. Daran dass eine unschöne Erfahrung die Seelen der beiden Geschwister, die scheinbar nicht ohne, aber vor allem auch nicht wirklich miteinander können, dauerhaft verletzt hat, besteht kein Zweifel. Doch was genau da vorgefallen sein mag, bleibt der Interpretation und Phantasie der Zuschauer überlassen.

Sissy ist es aber, die die Dramaturgie des Films vorantreibt. Zunächst bringt ihre Anwesenheit einfach nur Brandons Routine durcheinander, was das Befriedigen seiner Triebe empfindlich erschwert. Dann aber beginnt sie, in ihrer emotionalen Art, auch etwas in ihm auszulösen. Mehr denn je scheint er plötzlich das eigene Unglücklichsein zu reflektieren und sich womöglich nach Veränderung zu sehnen. Je weiter diese Entwicklung voranschreitet, desto mehr gerät Shame ins Trudeln. Wird dies womöglich die Geschichte einer Läuterung, gar einer Heilung? Irgendwie scheinen McQueen und Drehbuchautorin Abi Morgan zum Ende hin selbst nicht mehr sicher zu sein, was eigentlich der springende Punkt ihrer Geschichte sein soll. Damit öffnen sie all dem Tür und Tor, was der Film zunächst so geschickt und geflissentlich vermieden hatte: Ungenauigkeiten, Klischees, Pathos.

Bis dahin allerdings ist Shame in seinen graublau-unterkühlten Bildern ein beeindruckender Film, nicht unbedingt als allgemeingültige Studie zum Thema Sexsucht, aber sicherlich als gründliche Beobachtung eines durchaus realistischen Einzelfalls. Ein Ereignis wird der Film dabei durch Michael Fassbender, dessen eindringliche Leistung lange nachwirkt und alle Nuancen der Einsamkeit sichtbar macht.

12.09.2012

4

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Kommentare

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dulik

vor 5 Jahren

„Shame“ erzählt die Geschichte eines Sexsüchtigen und einsamen Mannes, grandios gespielt von Michael Fassbender. Regisseur Steve McQueen setzt dabei auf sehr intime Einblicke, die es in dieser Weise wohl noch kaum in einem anderen Film zu sehen gab. Durch die relativ kalte Erzählweise, wird die Lust aber nicht immer wunschgemäss zum Zuschauer transportiert.
7/10Mehr anzeigen


oscon

vor 8 Jahren

Schonungslose Darstellung eines Sexsüchtigen, fantastisch gespielt von Michael Fassbender.
Der tägliche Trip zur Befriedigung wird unterkühlt und abstossend dargestellt.
Warum die Hauptprotagonisten des Films so agieren, wird nur in einzelnen Dialogen kurz belichtet; bleibt aber weitgehend im Dunkeln.
Macht nachdenklich...Mehr anzeigen


Barbarum

vor 8 Jahren

Der Film lebt hauptsächlich von den tollen Darbietungen der Schauspieler.


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