Halt auf freier Strecke Frankreich, Deutschland 2011 – 110min.

Filmkritik

Eine kurze Geschichte des Sterbens

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Zynisch und kaltherzig seien sie, sagt man Filmkritikern gerne nach. Zu viel haben sie schon gesehen, zu wenig Platz für ungefilterte Emotionen erlaube ihre Arbeit. In Cannes blieb nach der Weltpremiere von Halt auf freier Strecke trotzdem kaum ein Auge trocken.

Kein Wunder: Dem am wichtigsten Filmfestival prompt prämierten Andreas Dresen gelingt mit seinem Film, der den gerade einmal 40 Jahre alten Frank (eindringlich wie nie: Milan Peschel) und seine Familie von der Krebsdiagnose bis zu seinem Tod begleitet, tatsächlich Außergewöhnliches. Er widmet sich dem gerade im Kino immer wieder banalisierten Thema des Sterbens mit kaum vorstellbarer Authentizität – und erzählt dabei einerseits eine höchst persönliche, individuelle Geschichte, die aber doch eine erstaunlich universelle Wirkung entfaltet.

Die Unmittelbarkeit, mit der das Schicksal des an einem Gehirn-Tumor erkrankten Fabrikarbeiters im kürzlich gebauten Häuschen am Berliner Stadtrand auch den Zuschauer trifft, ist erschütternd. Schon immer war Dresen einer der feinfühligsten Regisseure des deutschen Kinos, doch mittlerweile hat er seine schon bei Filmen wie Halbe Treppe oder Sommer vorm Balkon erprobte Improvisationstechnik zu einer Meisterschaft gebracht, die es fast mit der seines britischen Kollegen Mike Leigh aufnehmen kann. Sämtliche Szenen und Dialoge hat er zusammen mit seinem Ensemble (in dem Steffi Kühnert als Ehefrau, aber auch die beiden Kinderdarsteller brillieren) entwickelt, reale Ärzte lassen in ungeprobten Auftritten die Wirklichkeit in die Fiktion einsickern, und die atmosphärisch montierten Bilder der beweglichen Digitalkamera wirken ungeschönt, ohne zu nerven.

Entscheidend zum Gelingen trägt auch bei, dass Dresen ausgewogen die Balance zwischen Franks Perspektive und der seiner berufstätiger Ehefrau Simone hält. Immer wieder lässt er seinen Hauptdarsteller in die iPhone-Kamera sprechen, was als Stilmittel überzeugender ist als die Fantasien, in denen sein Tumor Menschengestalt annimmt. Der von Momenten des Humors durchzogenen Verzweiflung und emotionalen Intensität von Halt auf freier Strecke tun allerdings selbst die keinen Abbruch.

15.02.2012

5

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Kommentare

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Patrick

vor 11 Jahren

NACHTRAG.
Der Film lebt natürlich auch durch die grandiosen Darstellern, die das Drehbuch erst kurz vor dem Dreh bekammen auch dadurch wirkt der Film so echt.
Achtung obwohl *Halt auf Freier Strecke* auch einen leisen Humor hat (z. b. Die Harald Schmidt-Show szene) wirkt er lange nach.
Ich gebe dem Arthouse-Drama 4. 1/2 Punkte.Mehr anzeigen


Patrick

vor 11 Jahren

ARTHOUSE-KREBS-DRAMA.
Da der Film im Doku-stil gedreht wurde und die Ärzte sowie das Hilfs-personal echt sind, ja dadurch wirkt der Film genau so echt.
Natürich lebt das Movie auch von den grandiosen Darstellern, die das Drehbuch erst kurz vor dem Dreh bekammen ein grund mehr warum das Movie so echt wirkt.
ACHTUNG *HALT AUF FREIER STRECKE WIRKT LANGE NACH*.
Für das Arthouse-Drama gebe ich 4. 1/2 Punkte.Mehr anzeigen


kinoromantiker

vor 12 Jahren

Emotionaler Film mit guten Schauspielern. Kann mir sehr gut vorstellen das es genau so abläuft


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