Fenster zum Sommer Finnland, Deutschland 2011 – 96min.

Filmkritik

Alles auf Anfang

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Ein Sprung zurück in der Zeit. Oder die Gelegenheit, Fehler ungeschehen zu machen und die Zukunft zu verändern. Für viele ist das die traumhafte Vorstellung einer schicksalhaften Chance. Doch für eine junge Übersetzerin entpuppt sich die Sache zunächst als Albtraum.

Tatsächlich nämlich Juliane (Nina Hoss) alles andere als unglücklich. Frisch verliebt verbringt sie den Sommerurlaub mit August (Mark Waschke) in Finnland, der Heimat ihres Vaters. Man badet nackt im See, die Sonne scheint skandinavisch mild und die Stimmung könnte entspannter kaum sein. Doch dann der Schock: Eines Morgens wacht sie in Berlin auf, vor dem Fenster Schnee und zur steckt Philipp (Lars Eidinger) seinen Kopf herein, von dem sie doch eigentlich längst getrennt ist.

Ohne, dass sie es sich erklären könnte, wurde Juliane ein halbes Jahr zurückgeworfen und erlebt nun alles noch einmal. Die fest gefahrene Beziehung mit Philipp, der langweilige Arbeitsalltag in der Firma, die Plaudereien mit ihrer Freundin Emily (Fritzi Haberlandt) - immer weiß sie, was gleich passieren wird, die Dialoge kann sie fast mitsprechen. Während für alle anderen Normalität zu herrschen scheint, versucht Juliane sich möglichst genauso zu verhalten wie damals, um ja die zufällige Bekanntschaft mit August mitsamt des anschließenden magischen Sommers in Finnland nicht zu verpassen. Doch als sich die Dinge plötzlich anders entwickeln, erkennt sie schließlich, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen muss.

Schicksal, zweite Chancen, und das Ganze auch noch mit voller Ernsthaftigkeit präsentiert? Da klingeln die Alarmglocken bei manchem Zuschauer (zumal im wenig Fantasy-affinen deutschen Kino), der um die Ecke schon Kitsch, Esoterik und andere Fallen wittert. Doch siehe da: Fenster zum Sommer entgeht eben jenen ein ums andere Mal, wenn auch manchmal nur knapp. Stattdessen gelingt Regisseur Hendrik Handloegten, dessen letzte Kinoarbeit Liegen lernen acht Jahre zurückliegt, ein faszinierender Film, der gleichzeitig komplexes Charakterdrama, mystische Liebesgeschichte und spannender Thriller ist. Hat man sich erst einmal auf das Grundkonzept eingelassen, zieht die lose auf einem Roman basierende Geschichte einen immer tiefer ihren Sog.

Zu einem besonderen Genuss wird Fenster zum Sommer, hinter der übrigens der Berliner Ableger von Lars von Triers Produktionsfirma Zentropa steckt, auch durch die wunderbaren Bilder, die Kameramann Peter Przybylski sowohl von Finnland als auch von Berlin einfängt. Nicht zuletzt verdankt der Film sein Gelingen aber natürlich den herausragenden Schauspielern. Hoss ist einmal mehr eine Klasse für sich, doch Waschke, Eidinger und Haberlandt wissen, ideal besetzt, ebenfalls zu brillieren. Ohne Frage einer der besten deutschen Kinofilme des Jahres 2011.

16.01.2012

4

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Kommentare

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8martin

vor 8 Jahren

Regisseur Handloegten spielt mit der Zeitschiene und zwar recht intelligent. Anfangs mag es ja noch reichen, wenn er einer seiner Figuren den Satz in den Mund legt ‘Der Verstand kann keine Sache des Herzens erklären‘. Typisch Romantiker! Doch wie er dann die Handlung zeitlich mischt, wiederholt und neu knüpft macht eine Allerweltsgeschichte zu einer interessanten Psychostudie. Juliane (Nina Hoss großartig wie immer in ihrer ganzen weiblichen Mystik!) trägt den Film, in dem sie aus der Zeit fällt. Sie gerät in eine andere Umgebung mit lauter vertrauten Gesichtern. Es wird entblättert: zwei Männer gibt es: Philipp (Lars Eidinger) quasi ihr Mann und August (Mark Waschke) quasi ihr Zukünftiger. Und den Unfalltod ihrer Freundin Emily (Fritzi Haberlandt).
Diese drei Pfähle stehen fest auf der Piste von Julianes Leben. Sie umfährt sie auch schon mal aus verschiedenen Richtungen. Mal erkennen sie sie (dann sind wir in der Vergangenheit), mal erkennen sie sie nicht, dann sind wir in der Zukunft oder Gegenwart.
Die Zeitpfeile gehen in verschiedene Richtungen z: B. ‘Am 8. Mai werde ich mich in dich verlieben‘, schreibt Juliane August oder ‘Es gab eine Zeit, da waren wir ein Paar‘.
Dramatisch wird es, als Juliane versucht in die Zukunft einzugreifen, weil sie die Vergangenheit kennt. Das geht natürlich schief. Aber sonst kann man sich die Liebesgeschichte zusammenreimen.
Durch das Verlassen einer fest vorgegebenen Zeitebene verliert man die Bodenhaftung und schwebt mit den Akteuren für kurze Zeit davon, bis man mit Juliane und August wieder gemeinsam landet und das Fenster zum Sommer wieder schließt.Mehr anzeigen


Patrick

vor 10 Jahren

Irritierend, faszinierend und mitreissend gespielt. Der Film ist auf jeden Fall ein TV. oder DVD-Tip, sowie sagt er uns das man das Schicksal egal wie man es dreht nicht verändern kan.


mbolli

vor 12 Jahren

Die Story ist nicht schlecht, wenn auch sehr vorhersehbar. Finde es aber gut gespielt und der Verzicht von grosser "Hollywood-Dramatik" machen en Film wieder zu etwas speziellem.


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