CH.FILM

Zimmer 202 Schweiz 2010 – 85min.

Filmkritik

Der Eigenwegler

Filmkritik: Eduard Ulrich

Peter Bichsel nach Paris zu locken, wo niemals hinzugehen er sich schon als Kind geschworen hatte, ist eine Leistung, aber auch ein Risiko, das sich nur teilweise augezahlt hat. Dass man mit ihm auch einen ganzen Film lang auf dem stillen Örtchen verbringen könnte, ohne je Langeweile zu verspüren, ist das erfreuliche Fazit.

Wie riskant es war, Peter Bichsel zu überreden, nach Paris zu fahren, wird klar, als er erzählt, dass er sich als Kind weigerte, eine medizinisch indizierte und von seiner Mutter vereinbarte Operation an sich vornehmen zu lassen, weil sie seinen nasalen Stimmklang massiv verändert hätte. Er wurde deswegen immer wieder von seinen Schulkameraden gehänselt, aber das Bewahren dieses Identitätsmerkmals war ihm offenbar wichtiger, und er hatte im Alter von nicht einmal zehn Jahren auch die Courage, seinen Willen durchzusetzen.

Diese Geschichte ist symptomatisch: für Bichsel und für den Film. Bichsel blieb sich treu, ging seinen eigenen Weg vom Primarlehrer zum angesehen Schriftsteller und makellosen Wortwerker. Eric Bergkrauts filmischer Dialog macht auch vor vermeintlichen Tabuthemata nicht halt. Gelassen erzählt Bichsel aus seinem Leben als Schriftsteller und Ehegatte, nennt die Fixsterne in seinem moralisch-literarischen Kosmos und spaziert um den Gare de l'Est in Paris.

Filme aus seiner Zeit als Primarlehrer, einige Ausschnitte aus Fernsehaufzeichnungen von Veranstaltungen, an denen Bichsel teilnahm (und auch andere Geistesgrößen wie Max Frisch), Besuche in der Beiz und am Schwingfest sowie Kommentare von Fachleuten ergänzen die kurzweiligen Geschichten, die Bichsel zum besten gibt, in denen seine unbestechliche, zeitgeistlose Meinung immer wieder klar zum Ausdruck kommt. Peter von Matt erteilt ihm mit der witzigen Bemerkung, dass jeder Trottel einen Roman schreiben könne, aber die kompakte, elegante Prosa Bichsels eine einzigartige Meisterleistung sei, quasi den akademischen Ritterschlag.

Dennoch bleibt und blieb Bichsel bescheiden und im guten Sinne volksnah, ohne je volkstümlich oder anbiedernd zu werden. Er hat es nicht nötig, die Klarheit seiner Gedanken durch eine vermeintlich intellektuelle Wortwahl oder komplizierte Satzgebilde zu vernebeln. Bergkraut profitiert auch sehr davon, dass Bichsel, der am 24. März 75 Jahre alt wird, noch lebt, denkt und schreibt. Die makellosen Bilder, die Pio Corradi liefert, passen zur Qualität des Sujets, filmtechnisch bleibt man am Boden, wagt aber mit der Musik von Sophie Hunger etwas.

17.02.2024

4

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Kommentare

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gitflam

vor 13 Jahren

Auch wenn man nicht immer mit Bichsel einverstanden ist, sagt er doch eigentlich nie etwas, dass nicht auch stimmen und wahr sein kann! Ein für den Geist stets unterhaltsamer und kurzweiliger Film!


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