Honig Deutschland, Türkei 2010 – 103min.

Filmkritik

Von Bienen und Menschen

Filmkritik: Andrea Wildt

Mit "Bal" (Honig) - dem Gewinner des "Goldenen Bären" der diesjährigen Berlinale - vollendet der türkische Regisseur Semih Kaplanoglu seine autobiografisch geprägte Yusuf-Trilogie.

Der Dreiteiler schwimmt nicht nur seiner umgekehrten Chronologie wegen gegen den Strom gängiger Kino- und TV-Formate, auch seine ästhetische Aufmachung hebt sich vom durchschnittlichen Kinoprogramm ab: Lange, kontemplative Einstellungen, spärliche Dialoge und eine subtile Akustik, eingebettet in eine spirituell angehauchte Naturkulisse, kennzeichnen "Bal" als einen außergewöhnlichen Film mit einer zauberhaft eigenen Poesie.

"Bal" erzählt die Geschichte des sechsjährigen Yusuf (großartig: Boras Altas), der mit seinen Eltern in den waldreichen Bergen im Norden der Türkei von den Schätzen der Natur lebt. Sein Vater gewinnt in den Baumgipfeln den berüchtigten schwarzen Honig der Region, die Mutter arbeitet auf einer Teeplantage. In geduldig beobachtenden Sequenzen zeigt Semih Kaplanoğlu, wie Yusuf seinen Vater auf den langen Wegen zu den Bienenstöcken begleitet. Inmitten der Natur ist er ganz in seinem Element, er kennt die Namen der Blumen, weiß welchen Geschmack sie als Honig geben, hingegen in der Schule hat Yusuf offensichtlich Schwierigkeiten mit der Kommunikation: Beim Vorlesen stottert er, und während seine Kameraden ihre Pause draußen spielend verbringen, schaut er ihnen still vom Klassenzimmerfenster aus zu.

Auch sonst wird in "Bal" nicht viel gesprochen, oft flüstern Yusuf und sein Vater komplizenhaft, teils für den Zuschauer unhörbar. Dafür avancieren das Ächzen und Rauschen der Bäume, das Knistern des Feuers oder das Geräusch einer im Klassenzimmer verirrten Biene zu umso eindringlicheren akustischen Effekten. Was die Worte nicht zu artikulieren vermögen, wird in "Bal" auf Bild und Ton verlagert. Die Natur wird dabei zum wichtigsten Nebendarsteller im Film, zu einer Welt, in der Traum und Wirklichkeit simultan ineinander übergehen.

Folgerichtig ist es die Natur, welche das zu Beginn des Films eingeführte Unglück heraufbeschwört. Das kontinuierliche Sterben der Bienen zwingt Yusufs Vater in entlegenere Wälder vorzudringen. Das Ende einer harmonischen Koexistenz von Natur und Mensch, welche im vorherigen Teil der Trilogie "Süt" ("Milch", 2008) mit dem Bau von Hochhäusern konkret und im ersten Teil "Yumurta" ("Ei", 2007) mit der vollständigen Entfremdung Yusufs von seiner Heimat definitiv wird, kündigt sich hier an. Die sich nähernde Industrialisierung fordert ihre ersten Tribute, und Yusuf trinkt illustrativ erstmals das verschmähte Glas Milch bis auf den letzten Schluck leer.

15.11.2010

4

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Kommentare

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ccramer

vor 13 Jahren

Der Film ist eine Wucht, inhaltlich und formal. Wunderschöne Kameraarbeit und eine subtile Tonspur.


iohostilo

vor 13 Jahren

Sehr gut


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