Das weisse Band - eine deutsche Geschichte Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien 2009 – 145min.

Filmkritik

Historischer Sozialkrimi

Filmkritik: Eduard Ulrich

Michael Haneke, der Chronist des abartigen Alltags, erzählt von einem norddeutschen Dorf in den Jahren 1913 und 1914. Dabei interessiert er sich vor allem für die Abgründe des Menschlichen hinter der Fassade der Normalität. In Cannes gab's für dieses exzellente Werk den Hauptpreis.

Was beispielsweise Aki Kaurismäki mit seinem Stummfilm "Juha" und Steven Soderbergh mit seinem Schwarzweißfilm "The Good German" recht war, nämlich sich an alten Filmformen auszuprobieren, kann Michael Haneke nur billig sein. Dass er sich nun ebenfalls in Schwarzweiß mit einer klassisch präsentierten Geschichte einen Blick in die Vergangenheit erlaubt, ist sicher kein Zufall, handelt es sich doch bei allen dreien um Meister im Einsatz der Mittel.

Haneke schrieb auch das Drehbuch, und die handverlesene Schar hervorragender deutschsprachiger Schauspieler ist eine Freude. Das Personal repräsentiert einen kompakten Querschnitt der damaligen Landbevölkerung: Gutsherr, Pfarrer, Arzt, Hebamme, Junglehrer und Bauern mit ihren Familien. Die Kamera blickt mit der bei Haneke üblichen Neugier auf das Geschehen und sorgt für visuelle Abwechslung. Der Chronist, der inzwischen alt gewordene Lehrer, ist manchmal als Kommentator zu hören, Bildsprache und Erzählweise schaffen eine Atmosphäre der Authentizität.

So könnte eine Idylle beschrieben werden - doch nichts läge Haneke ferner. Der wohlgeordnete Kosmos der Dorfgemeinschaft gerät nach und nach aus den Fugen, als Sachen zerstört und Kinder misshandelt werden, ohne dass man in jedem Fall den Grund oder die Schuldigen findet. Gegenseitige Verdächtigungen und die später eingeschalteten Kriminalpolizisten verstärken die Spannungen in den Beziehungen der Paare und der Generationen, denn jeder hat bereits genug eigene Probleme.

Dass Haneke mit Jugendlichen umgehen kann, wusste man, hier beweist er eine glückliche Hand beim Führen der vielen Kinder, die einen wesentlichen Anteil an der Handlung tragen. Kaum ein Meisterwerk ist ohne Makel. In der Sprache erreicht Haneke, der Handwerker der Detailgenauigkeit, ein paarmal nicht seinen hohen Standard: Formulierungen und Grammatikfehler, die Produkte der heutigen Zeit sind, stören - wenn auch sehr selten - die historische Stimmung.

Michael Haneke hat mit diesem großartigen Film etwas riskiert und viel gewonnen: neben der Goldenen Palme ein gut verständliches, aber dennoch gehaltvolles Sittengemälde für Jugendliche und Erwachsene.

29.09.2011

5

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Kommentare

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sum21

vor 6 Jahren

Ein sehr eindrücklicher Film über die Zeit eines kleinen Dorfes vor dem 1. Weltkrieg dass von geheimnisvollen Unfällen überschattet wird. Und eine Dorfgemeinschaft, die die Täter in Ruhe lässt.
Dann ein erzkonservativer Pfarrer und gleichzeitig Vater der versucht seine Kinder vor der angeblichen Verführung des bösen zu beschützten.Mehr anzeigen


gefuehlsmensch

vor 10 Jahren

Sehr gelungen.


kurusaua

vor 10 Jahren

schön


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