Maman est chez le coiffeur Kanada 2008 – 98min.

Filmkritik

Eine Familie aus dem Gleichgewicht

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Eines Tages packt Mama ihre Koffer und haut ab. Sie hat entdeckt, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einem Golffreund hat. Wie kommen Vater und die drei Kinder damit klar? Sanftes Familiendrama der Schweiz-Kanadierin Léa Pool.

An den Solothurner Filmtagen 2009 wurde sie mit einer Retrospektive geehrt. Und mit ihrem jüngsten Film eroberte sie das Publikum an der Aare erst recht. Als 25-Jährige hatte sie Lausanne verlassen, wurde in Montreal heimisch und kehrte - nicht zum ersten Mal - in die Schweiz zurück. Léa Pool kann auf rund ein Dutzend Spielfilme zurückblicken.

Emigration, Fremdsein, Selbstfindung, Trennung und Aufbruch sind ihre Themen.Davon handelt auch "Maman est chez le choiffeur". Hinter diesem scheinbar harmlosen Titel verbirgt sich eine kleine Familientragödie. Mama sei beim Coiffeur, antworten die Kinder auf neugierigen Fragen. Mama (Marianne Fortier) hat von ihrem Mann (Laurent Lucas) die Nase gestrichen voll, als sie dahinterkommt, dass er seinen homosexuellen Neigungen nachgeht. Sie haut nach London ab; die Kinder will sie später nachholen.

So stehen sie da, der Mann, Teenager Élise (Marianne Fortier), die aus Schuldgefühlen mütterliche Verantwortung übernimmt, Coco (Élie Dupuis), der Bursche, der sich in den Bau eines Rennwagens flüchtet, und der Knirps Benoit (Hugo St-Onge-Paquin), der seine Verletztheit in wilden Aktionen auslässt, sich abschottet und nur von Élise verstanden wird. Die Mutter hat das Nest abrupt verlassen, ist aus ihrer angestammten Rolle (in den 1960ern) ausgestiegen. Ihr Befreiungsakt bewirkt Wut und Schmerz und Trotz.

(Mehrheitlich) aus der Sicht der Kinder beschreibt Léa Pool, wie diese mit dem Chaos der Erwachsenen umgehen, wie sie (teilweise) erwachsen werden und akzeptieren müssen, was sie verdrängen und nicht wahr haben wollten - im Sommer 1966. Dieser Ablösungs- und Auflösungsprozess in Pools Film ist zeitlos, auch wenn der Sound der Sixties ganz andere Reminiszenzen bei älteren Zuschauern wachrufen wird.

Irgendwie scheint Léa Pools Zerrüttung der Familienidylle seelenverwandt mit "Home", einem der besten Schweizer Kinofilme der letzten Jahre. Hier wie dort wird eine Familie aus der Bahn geworfen. Wie geht man mit Verlusten, mit einschneidenden Veränderungen um? Pool wie Meier haben eine Antwort darauf: Man findet wieder Boden unter den Füssen, wenn eine gewisse Solidarität trägt, wenn das Herz über Wut und Ohnmacht siegt, wenn der Abbruch zum Aufbruch wird. Tröstlich zu wissen.

17.02.2024

4

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Kommentare

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1234jopy

vor 9 Jahren

starker Film über ein trauriges Thema. Macht nachdenklich.


luissa

vor 14 Jahren

tolle zeitgeschichte - wirklich einfphlsam erzähltes familiendrama
wunderbare schauspieler - auf die weiteren filme von Marianne Fortier können wir uns freuen.
Gut gemacht Léa!


sternchen10001

vor 15 Jahren

schönes Ambiente.. die Kleidung ist perfekt - die Wohnungseinrichtung.. richtig schön..
witzige Elemente... - sehenswert


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