Tage oder Stunden Frankreich 2008 – 85min.

Filmkritik

Ich bin dann mal weg

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Irgendwann kommen diese Tage, an denen man denkt, man müsse alles hinschmeißen, wirklich alles: Der französische Regisseur Jean Becker lässt es einen Werber und Familienvater tun. Das ist zur Hälfte grossartig.

Während eines Meetings platzt Antoine (Albert Dupontel) der Kragen, all die Oberflächlichkeiten der Werbebranche sind für ihn nicht mehr zu ertragen. Doch was anfänglich als moralisch-ethische Entscheidung zu deuten ist, nimmt immer seltsamere Formen an. Das Geburtstagsgeschenk seines kleinen Sohnes, ein selbstgemaltes Bild, macht Antoine mit den Worten: "Schönes Flugzeug, aber fällt dir nichts daran auf? Es kann nicht fliegen. Und warum kann es nicht fliegen? Weil die Flügel nach unten zeigen. Das kannst du besser!" am gemeinsamen Frühstückstisch nieder. Und die Überraschungsparty mit all seinen Freunden läuft derart aus dem Ruder, dass nach anfänglichen Schimpftiraden seitens Antoine dieser sich eine gebrochene Nase einhandelt. Kurzerhand schmeißt er die Geburtstagsgäste aus dem Haus und macht sich selber aus dem Staub.

Regisseur Jean Becker präsentiert den Ausbruch eines Mannes aus seinem Leben beinahe nebenbei. Es ist vor allem der großartigen Leistung Albert Dupontels zu verdanken, dass man - trotz aller Dramatik, die in der Situation zu spüren ist - dem sozialen Selbstmord von Antoine fasziniert und beinahe begeistert zuschaut. Mit einer stoischen Nonchalance vernichtet Antoine nach und nach jeden festen Halt in seinem Leben, er schüttelt seinen Alltag, seine Erinnerungen, seine Bindungen und all seine Zwänge einfach ab. Mehr als zwei Tage braucht er dafür nicht. Und das geschieht so konsequent, dass die Frage nach dem "Warum" in den Hintergrund rutscht.

Doch so intensiv und emotional fesselnd der erste Teil des Films noch ist, hängt er in der zweiten Hälfte leider etwas durch. Mit dem Aufbruch Antoines beginnt die indirekt inszenierte Ursachenforschung, reumütige und sentimentale Blicke und Gesten blitzen schlaglichtartig auf. Immer gibt es Momente falscher Rührseligkeit, die all die bereits gehegten Vermutungen nur noch bestätigen. Denn wo am Anfang der Zuschauer einer Ratlosigkeit gegenüber des Handelns des Protagonisten anheim gegeben wurde, dominieren später die sich erfüllenden Erwartungen. Zwar bügelt Dupontel mit seiner Präsenz die standardisierten Drehbuchwendungen aus, doch fühlt man sich mit dem etwas zu melodramatischen Ende um den starken Anfang betrogen.

14.07.2009

4

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