Paradise Now Frankreich, Deutschland, Israel, Niederlande, Palästina 2005 – 91min.

Filmkritik

Bombe in der Hand, Paradies im Kopf

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Dieses Thema ist leider brennend aktuell: Junge Menschen lassen sich instrumentalisieren und werden zu lebenden Zeitbomben. Hany Abu-Assad versucht in seinem Spielfilm, die Beweggründe zweier palästinensischer Selbstmordattentäter begreifbar zu machen.

Die Lage ist trost-, aber nicht hoffnungslos. Eine junge moderne Frau, Suha (Lubna Azabal), überquert die Grenze israelisch-palästinensische Grenze - legal. Sie besucht ihre Heimat Neblus (Westjordanland) und trifft an einer Garage den Palästinenser auf Said (Kais Nashef). Trotz einiger (politischer) Gegensätze empfindet man Sympathie füreinander. Saids Freund Khaled (Ali Suliman), ebenfalls Automechaniker, wird just an diesem Tag gefeuert. Die Zeit sei reif, meinen Leute einer radikalen Untergrundorganisation, und bereiten die beiden, von der Intifada geprägten Freundeauf ein Selbstmordkommando vor.

Sie werden getestet, gefilmt (politisches Bekenntnis) und mit Sprengladungen am Leib zur lebende Bombe umfunktioniert. Ihre Mission soll sie nach Tel Aviv führen, um möglichst viele Menschen zu töten. Doch bereits beim Grenzübertitt werden die beiden von einer Militärpatrouille entdeckt und getrennt. Sie fliehen. Wie reagieren die potenziellen Selbstmordattentäter, wie die Untergrundorganisation? Wer wird zum Verräter gestempelt, wer zum Helden gemacht?

Das Szenario ist allzu gegenwärtig und realistisch, wie die Attentate im Irak, in London und Sharm-al-Sheikh zeigten. Der palästinensische Filmautor Hany Abu-Assad, 1961 in Nazareth geboren,und seit 1990 in Holland ansässig, hat die heikle Aufgabe angepackt, Selbstmordattentäter ohne Voruteile und Vorverurteilungen darzustellen. Er zeigt sie als fanatisierte Menschen, die verführt werden. Der menschliche Aspekt spielt die dominierende Rolle in seinem Spielfilm, der an Originalschauplätzen gedreht wurde.

Die Nähe zum Land, zu den Menschen, zur brisanten Situation ist greifbar. Durch das Format (35 mm), aber auch durch den dokumentarischen Grundton setzt man sich ab. Hany Abu-Assad: "Es geht in meinem Film nicht bloss darum, die Realität abzubilden, sonndern vielmehr die Realität zu nutzen, um ein bestimmtes Bild zeichnen zu können."

Abu-Assad versucht, Verständnis für die Handlungen junger Männer wie Said und Khaled zu wecken, obgleich er sich von solchen verbrecherischen Aktion distanziert. Die Attentäter erhalten ein Forum: Sie verstehen sich als Tote auf Bewährung, denen man Ehre, Ruhm und das Paradies versprochen hat. "Lieber das Paradies im Kopf als die Hölle auf Erden", sagt einer von ihnen. Sie sind von ihrer radikalen Mission besessen. Doch ihr Ansinnen und Anspruch im "Namen Allahs des Barmherzigen" spottent jeder Menschlichkeit.

Der Regisseur versucht zwar, Parteinahme und Schuldzuschreibung tunlichst zu vermeiden, aber er wird dem Konflikt nur teilweise gerecht, auch weil das Umfeld nur Nebenschauplatz ist und die Folgen solcher verbrecherischer Aktionen ausgeklammert werden. Die Argumente der Attentäter, die im übrigen sympathisch gezeichnet und nicht als Monster beschrieben werden, bleiben leere Hülsen. Ein weiteres Manko schmerzt: Die Entmenschlichung des Menschen, sprich der beiden Protagonisten, bleibt vage und undeutlich. Einer gibt sich einsichtig, der andere will seinen Auftrag erfüllen und ein Blutbad anrichten. Doch soweit geht "Paradise Now" nicht. Der Film wirkt unbehaglich, auch wegen seiner fragwürdigen Ambivalenz und spult sich im Kopf weiter ab - auch nach Kinoende. Er bietet weder Lösung noch Legitimation noch Sicherheit. In Berlin 2005 wurde "Paradise Now" mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.



31.05.2021

3

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Kommentare

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lynchist

vor 18 Jahren

Es ist kein Kunststück einen Film über Selbstmordattentäter zu drehen, der von der Thematik her berührt. Der Film bedrückt (vor allem der Abspann), befriedigt jedoch nicht. Abu-Assad beschäftigt sich zu wenig mit Motiven und der Psychologie der Figuren. Sie sind sprunghaft in ihren Idealen und vermögen daher inhaltlich nicht zu überzeugen, trotz beachtlichen schauspielerischen Leistungen.Mehr anzeigen


lilien

vor 18 Jahren

Klar ist es schwierig ein Film über dieses Thema zu drehen - vor allem noch möglichst objektiv. Der Film stellt hier das Leben & die Beweggründe der möglichen Selbstmordattentäter in den Vordergrund. Die anderen Stimmen kommen zwar vereinzelt auch zu Wort, spielen aber eine untergeordnete Rolle. Wer sich dafür interessiert mal eine andere Seite wie in den Nachrichten zu sehen, sollte den Film unbedingt anschauen gehen! Er ist wirklich toll gemacht & setzt ein aktuelles Thema gekonnt um ohne depressive Stimmung zu erzeugen.Mehr anzeigen


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