The Station Agent USA 2003 – 99min.

Filmkritik

Der grosse Zorn des kleinen Fin

Filmkritik: Irene Genhart

Mit "The Station Agent" präsentiert Newcomer Tom McCarthy eine zartbittere Komödie um einen kleinwüchsigen Mann, Eisenbahnen und Menschen, die Freunde werden, ohne es zu wollen.

Obwohl man auf der Leinwand ab und zu kleinwüchsige Menschen trifft, wird in Filmen auf die speziellen Probleme und Lebensbedingungen Kleinwüchsiger kaum je eingegangen. Umso couragierter erscheint ein Film wie "The Station Agent", der einen Kleinwüchsigen nicht nur zum Protagonisten erkürt, sondern dessen Auseinandersetzung mit der Umwelt zur eigentlichen Triebfeder seiner Story macht.

Finbar McBride heisst der Mann, um den es hier geht, und er wird von einem absolut überzeugenden Peter Dinklage gespielt, der schon mit Auftritten in "Being John Malkovich", "Living in Oblivion" oder "Human Nature" auf sich aufmerksam machte und vom Scheitel bis zur Sohle exakt 137 Zentimeter misst. Das ist so wenig, dass Fin unweigerlich die neugierigen Blicke und, wenn es blöde kommt, auch den Spott der Mitmenschen auf sich zieht.

Früher, erzählt Fin in einem der berührendsten Momente, sei er unendlich zornig darauf gewesen, ein Zwerg zu sein. Inzwischen ist die jugendliche Wut einem leicht frustrierten Langmut gewichen. Fin arbeitet in einem Modelleisenbahngeschäft, dessen Besitzer Henry ist Fins bester Freund. Er teilt mit ihm nicht nur die Wohnung, sondern auch die Leidenschaft für Eisenbahnen. Wären da nicht die täglichen Demütigungen, Fins Leben könnte angenehm sein.

Als Henry in einer der wenigen nicht ganz gelungenen Szenen stirbt, hinterlässt er Fin ein Kleinod, das auch Regisseur Tom McCarthy bei einer Reise durch New Jersey wie ein Geschenk als Schauplatz zufällig in den Schoss fiel: Ein ausrangiertes Bahndepot namens Newfoundland, mitten im Nirgendwo. Fin zögert nicht lange, stopft seine sieben Sachen in einen Koffer und wandert, wie es sich für einen Eisenbahnfan gehört, der nie einen modernen Hochgeschwindigkeitzug besteigen würde, den Schienen entlang in seine neue Heimat. Er will sich voll und ganz seinem Hobby widmen und hofft, in der Abgeschiedenheit endlich die lang ersehnte Ruhe zu finden.

Bezüglich Eisenbahnen kommt Fin voll auf die Rechnung: Tom McCarthy hat sich durch die Entdeckung des Bahndepots und den Kontakt mit dessen Besitzer auch die faszinierende Subkultur der Zugfans erschlossen, und "Station Agent" dürfte jedem eingefleischten Eisenbähnler die Augen überlaufen lassen. Da werden nicht nur völlig unverblümt ehrfurchtsvolle Kurzvorträge über die zivilisatorischen Verdienste der Railroad in der amerikanischen Geschichte gehalten, sondern auch Schienenrechte abgeschritten, Train-Watching und Train-Hunting betrieben und absolut schräge Amateur-Zug-Film-Abende durchgeführt.

Punkto Einsamkeit aber hat sich Fin verschätzt: Sein Erscheinen sorgt selbst im gottverlassenen Newfoundland für Furore. Schlimmer noch: Konnte Fin früher in der Stadt den Menschen einfach ausweichen, so kommt er hier nicht um den Kontakt herum: Der schwatzhafte Fastfoodbuden-Betreiber Joe, die Künstlerin Olivia, die Fin in linkischer Zerstreutheit mehrmals beinahe überfährt, und die pummelige Cleo gehören vom ersten Tag in der neuen Heimat an zu Fins Leben einfach mit dazu.

Einfühlsam und unverhofft offen bezüglich der Probleme, die ein Leben als Kleinwüchsiger mit sich bringt, stellt McCarthy mit "The Station Agent" eine herb-zärtliche Komödie vor, die, wie dereinst "What’s Eating Gilbert Grape?", dem Publikum durch die Schilderung der eigenwilligen Wahrnehmung eines Aussenseiters einen wunderbarneuen Blick auf die Welt eröffnet. Am Sundance Festival wurde das Debut dafür mit dem Publikumspreis belohnt.

30.03.2023

4

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Kommentare

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güx

vor 20 Jahren

"Station Agent" ist eigentlich ein sehr leiser Film, in dem oberflächlich nicht wirklich viel passiert. Es ist die Geschichte dreier Menschen, die in ihrer Unterschiedlichkeit eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind alle einsam. Die Hauptdarsteller - Peter Dinklage, Patricia Clarkson und Bobby Cannavale - überzeugen durch ihre enorme Präsenz und Schauspielkunst. Dieser Film beweist, dass amerikanische "Komödien" (ich würde Station Agent nicht wirklich dort einordnen) nicht immer laut, überdimensional und kitschig sein müssen. Ein sehr schöner Film, in dem alles stimmt.Mehr anzeigen


scharach

vor 20 Jahren

Ein Heileit des Filmjahres 2003. Wohl der beste Film den ich dieses Jahr sah.
Die Schauspieler agieren genial. Fin wird äusserst beeindruckend dargestellt. Zynisch, grantig und herrlich natürlich. go & watch it!


leosolu

vor 20 Jahren

Magnifique, une vrai leçon de vie, un film à ne pas rater.


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