Buongiorno Notte - Der Fall Aldo Moro Italien 2003 – 105min.

Filmkritik

Error Terror

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Marco Bellocchio schildert die Entführung und Ermordung von Aldo Moro durch die "Roten Brigaden" 1978. Ein dunkles Kapitel italienischer Geschichte, erzählt als dramatisches Kammerspiel des Zweifelns.

Was den Deutschen die sagenhafte RAF, waren den Italienern die "Roten Brigaden": Ein Haufen begabter und gutaussehender Menschen, die sich in den 70ern des letzten Jahrhunderts zur militanten Linken radikalisierten und sich auch der Mittel des blutigen Terrors bedienten. Und was in Deutschland im "Deutschen Herbst" in der Entführung und Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten Hans-Martin Schleyer gipfelte, fand ein halbes Jahr später im "Italienischen Frühling" seine grausige Wiederholung. Aldo Moro, der politische Kopf der konservativen "Democrazia Cristiana" wurde am 16. März 1978 von einem Brigade-Kommando entführt, in einer Römer Wohnung festgehalten und nach 55 Tagen ergebnisloser Suche im Kofferraum eines Wagens gefunden. Mause. Tot. Amen.

So weit, so Geschichte. Marco Bellocchio erzählt sie in "Buongiorno, notte" konsequent aus der Perspektive der Täter, vier junger Männer und der schönen Chiara (Maya Sansa), die Aldo Moro (grossartig: Robert Herlitzka) kidnappten, festhielten, verhörten - und zum Schluss exekutierten. Eindrückliche Bilder, diese Szenen versuchter Normalität, absurder Tribunale, wachsender Zweifel, Alltag werdenden Ausnahmezustands: Da hocken die in der angemieteten Wohnung, füttern ihren Kanarienvogel, kochen, na was wohl, Pasta, schauen sich im Fernsehen an, wie ihr Land in Not geraten ist. Und im aus Büchergestellen gefertigten Verliess schreibt Moro letzte Briefe an die Familie. Moriturus vos salutat, ein Todgeweihter grüsset euch.

Bellocchio, der auch das Drehbuch verfasste, interessiert sich nur begrenzt für das Historisch-Faktische an den dramatischen Ereignissen, kaum für das zeitgeistig-politische Klima, das die "Rote Brigade" erst verstehbar macht, und erst recht nicht für das Who-Dunnit der Moro-Tat. Nichts belegt dies besser als die Tatsache, dass alle Figuren - mit Ausnahme Moro's natürlich - frei erfunden sind, nicht einmal die Namen derer tragen, die Moro's Tod letztlich verantworten. Bellocchio fokussiert in seiner Doku-Fiktion in erster Linie die innere Geschichte der Rot-Brigadisten, die wachsenden Zweifel an der Richtigkeit ihres Denkens und Handelns, die Spannungen innerhalb der Gruppe und das Aufkeimen einer Art Umkehrung des so genannten Stockholm-Syndroms, jenes von der RAF in der schwedischen Hauptstadt "erfundenen" psychologischen Phänomens, das beschreibt, wie Entführer ihr Opfer zu lieben beginnen, je länger sie sich mit ihm abgeben.

"Buongiorno, notte" ist viel Wunsch nach Wiedergutmachung, ins Bild gesetzte Hoffnung nach einem anderen Verlauf der Geschichte, wenigstens einer mit jenem Happy End, das sich Chiara zum Schluss erträumt. Noch in jedem Verhör lässt Bellocchio die Brigadisten Moro's klugen Argumentationen unterliegen, den alten Mann ihren sakrosankten Marx zerpflücken. Ob das auch daran liegt, dass "Buongiorno, notte" eine "Auftragsarbeit von RAI-Cinema" sei, wie Bellocchio in einem Interview betonte, Ideologie-Arbeit, an der auch Silvio Berlusconi von ferne mitwirkte? Wir wollen es nicht hoffen.

19.02.2021

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